Mutter zweier Wunderkinder : „Wir sind einfach nur ziemlich komplizierte Maschinen“
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Ainnat Lifshitz, Familiencoach und Mutter zweier Wunderkinder, während ihres Vortrags über Erziehung im 21. Jahrhundert Bild: Kim Maurus
Wie funktioniert Erziehung im 21. Jahrhundert? Familiencoach Ainnat Lifshitz hat zwei Wunderkinder großgezogen und gibt anderen Tipps. Ihr Sohn erklärt, was To-Do-Listen mit künstlicher Intelligenz zu tun haben.
Kinder, sagt Lifshitz, haben heute weniger „Face-to-Face“-Momente als früher. Das liege an den ganzen großen und kleinen Bildschirmen, denen sie sich tagtäglich aussetzen. Deshalb sollten Eltern mit ihren Sprösslingen trainieren, die elektronische Geräte bewusst wegzulassen. Wie das geht, sollen die Teilnehmer eines interaktiven Workshop auf der Me Convention in Frankfurt gleich mal selbst ausprobieren, in Form von analogem Small-Talk mit dem Nachbarn.
Der Mann mit Brille und roten Schuhen erzählt, er sei seit drei Monaten Vater von Zwillingen. „Ich mache vermutlich alles falsch, was man falsch machen kann“, sagt er unglücklich. Der beschwichtigende Einwand, dass es sicher sämtlichen frischgebackenen Eltern so geht, kann ihn da wenig umstimmen.
Laut Lifshitz sollten Eltern dafür sorgen, dass Kinder raus in die Natur kommen, Vereinssport machen und abends Brettspiele spielen. Dass lässt etwas zusammenzucken, kann man den verführerischen Bildschirmen wirklich diesen altmodischen Zeitvertreib entgegensetzen? Lifshitz hinterfragt das nicht, die Prämisse des Vernünftig-Seins setzt sie an dieser Stelle voraus. Recht hat sie damit ja.
Nächste Aufgabe: An Werte denken, die einem wichtig sind – denn ein Bewusstsein dafür sei der erste Schritt, um seine Kinder zu ausgeglichenen Wesen zu erziehen. Privatsphäre ist für Lifshitz zentral. Man könnte darüber nachdenken, das in seinen Wertekosmos aufzunehmen, schließlich würden die persönlichen digitalen Daten am laufenden Band gesammelt. Um das eigene Kind erfolgreich zu machen, müssten Eltern aus ihnen herauskitzeln, wo ihre Interessen liegen und sie dann darin bestärken. Auch Selbstreflexion und Gefühle verstehen sollte gelernt sein – sowohl auf Seiten der Eltern als auch der Kinder.
Das alles würde helfen, sogar wenn der störrische Dreijährige partout nicht ins Bett gebracht werden möchte. In diesem Alter Selbstreflexion beweisen ginge natürlich nicht, dafür lässt sich aber das Umfeld bearbeiten. Jeden Tag die gleiche Abendbrot- und Bettzeit, das Zimmer schon eine Weile vor dem Schlafen abdunkeln – all das soll dienlich sein. Und: „Man kann nicht erwarten, dass das Kind sofort ins Bett möchte, wenn es vom Tag total aufgedreht ist“. Also den Tobsuchtsanfall vorbeugen – mit Routine.
Wozu das alles im Idealfall führt, wird am lebenden Beispiel demonstriert: Ihr Sohn Shalev wohnt der „Interactive Session“ bei, die bis auf die zwei besagten Aufgaben eher als Vortrag durchgeht. Er ist 16 Jahre alt, aber schon Unternehmer und forscht in Kanada an künstlicher Intelligenz, die möglichst dem menschlichen Gehirn ähneln soll. Unweigerlich stellt sich die Frage, wer hier eigentlich wen beeinflusst hat – die Mutter mit ihrer Erziehung das Wunderkind oder das Wunderkind die Mutter in ihrer Berufswahl.
Wie auch immer die Antwort aussehen mag, Shalev pflichtet Lifshitz in allem bei. Als Kind habe er eine tägliche To-Do-List gehabt mit allen Dingen, die er tagein, tagaus zu erledigen hatte. „Zähneputzen“ stand da zum Beispiel drauf, aber auch „Have fun“. Nicht ein wenig zu durchstrukturiert? Nein, sagt er. Wiederholung und Struktur helfen Kindern zu lernen. Da sei man dann schnell wieder bei Künstlicher Intelligenz, denn selbstlernende Software trainiert auch durch Repetition.
Eigentlich sind wir, so Shalev, alle einfach nur ziemlich komplizierte Maschinen. Etwas gruselig mutet dieses Menschenbild schon an – aber wenn es wirklich hilft, den Dreijährigen ins Bett zu kriegen, ist es vielleicht vertretbar.