Mayers Weltwirtschaft : Merkel, korrigiert
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Thomas Mayer Bild: Thilo Rothacker
Scheitert das Recht – dann scheitert Europa wirklich.
Vor drei Jahren warnte die Kanzlerin: „Scheitert der Euro, scheitert Europa.“ Damals hätte man dies noch als verbalen Ausrutscher vor dem Hintergrund der Zuspitzung der Eurokrise verstehen können. Doch anlässlich der jüngsten Krise um Griechenland hat die Kanzlerin ihre Warnung im Bundestag wiederholt. „Ich habe immer wieder gesagt: Scheitert der Euro, scheitert Europa.“ Da sie dies am Tag vor ihrer Abreise zu einem EU-Gipfel sagte, bei dem es wieder mal um Griechenland ging, stand eine unausgesprochene Erweiterung dieses Satzes im Raum: „Scheitert Griechenland, dann scheitern der Euro und Europa.“
Die EU ist ein Staatenverbund
Dieser Satz hat es in sich. Denn daraus folgt: Ein Austritt Griechenlands aus dem Euro muss unter allen Umständen verhindert werden, sonst scheitert der Euro und mit ihm Europa. Macht man sich diesen Standpunkt zu eigen, ist man sehr nahe dran, mit der Ausrufung eines übergesetzlichen Notstands den für das Zusammenleben in der Europäischen Währungsunion und Europäischen Union geschaffenen Rechtsrahmen über Bord zu werfen. Ohne die Respektierung von Recht und Regeln ist die Europäische Union aber wirklich zum Scheitern verurteilt.
Die EU ist ein Zusammenschluss souveräner Staaten, die sich bereit erklärt haben, bestimmte Teile ihrer nationalen Souveränität auf die europäische Ebene zu verlagern und dort gemeinsam auszuüben. Was übertragen wurde und wie die übertragene nationale Souveränität auf der europäischen Ebene ausgeübt wird, regeln Verträge. Diese Verträge haben eine doppelte Funktion: Sie ermächtigen die europäischen Institutionen zu hoheitlichen Handlungen, die für das gesamte Gebiet der Vertragspartner gelten, sie schützen aber auch die Vertragspartner vor Übergriffen der europäischen Institutionen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen zu den Verträgen von Maastricht und Lissabon die Aufstellung der EU als „Staatenverbund“ bezeichnet. Dieses Gebilde ist mehr als ein „Staatenbund“, in dem die Teilnehmer in vollem Umfang souverän bleiben, aber weniger als ein Bundesstaat, in dem die Souveränität der Teilstaaten der Souveränität auf Bundesebene nachgeordnet ist. Das Verfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung zu europäischen Verträgen immer wieder hervorgehoben, dass die nationalen Volksvertretungen die Herren über die Verträge und damit der Hort demokratisch legitimierter Souveränität sind. Das Europäische Parlament soll die Ausübung der auf die europäische Ebene delegierten Souveränität überwachen.
Griechenland und der Bruch der Regeln
In dem Bemühen, den Euro vor dem Verfall zu retten, kam es immer wieder zu Verletzungen der vertraglichen Vereinbarungen und zu Übergriffen europäischer Institutionen auf Bereiche der nationalen Souveränität. So wurde im Rahmen der Rettungsprogramme das Verbot der Haftung der Union oder Mitgliedstaaten für die Verbindlichkeiten von in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Eurostaaten umgangen. Über die Programme der EZB zum Aufkauf von Staatsanleihen wurde das Verbot der Finanzierung von Staaten durch die Zentralbank aufgeweicht. Nun soll Griechenland unter allen Umständen in der Währungsunion gehalten werden, obwohl das Land seit fünf Jahren den Beweis dafür liefert, dass es sich an die Bedingungen für die Mitgliedschaft nicht halten will oder kann.
Insbesondere die Rettung Griechenlands um jeden Preis zwingt den Bruch europäischer Regeln geradezu herbei. Jedes Mitglied eines Vereins weiß, dass ein Verstoß gegen die Satzung den Ausschluss zur Folge haben kann. Die Satzung ist durch den Beschluss der Mitglieder vorgegeben und stellt die Grundlage für die Mitgliedschaft einzelner Personen dar. Wer nichts davon hält und sich daher nicht daran halten mag, sollte den Verein verlassen. Im Zuge der Euro-Rettung wurden diese Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Da die Mitgliedschaft unwiderruflich sein soll, müssen die Regeln gebeugt werden, wenn ein Mitglied unwillig oder unfähig ist, sie einzuhalten. Natürlich wird alles dafür getan, den Bruch der Regeln zu verschleiern. Das betroffene Mitglied gibt vor, sich in Zukunft an die Regeln zu halten, obwohl es das nicht kann oder will, und die anderen Mitglieder tun so, als ob sie dies glaubten. Im Rahmen der Euro-Rettung hat sich dieses Verfahren so eingespielt, dass angelsächsische Beobachter dafür schon eine passende Bezeichnung gefunden haben: „Extend and pretend“, was so viel heißt wie, rette weiter und wahre den Schein.
Die jüngste Krise um Griechenland rührt im Wesentlichen daher, dass die neue griechische Regierung nicht kapiert, dass der Schein zu wahren ist, und die Regeln offen ablehnt. Doch es gibt Hoffnung, dass sie sich letzten Endes als lernfähig erweisen wird.