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Mayers Weltwirtschaft : Die Lehren aus dem Brexit

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Thomas Mayer Bild: Thilo Rothacker

Die Europäische Union braucht dringend eine Reform. Sonst werden nach Großbritannien noch weitere Länder die EU verlassen.

          3 Min.

          Nun ist es also passiert. Die Briten ziehen den gefährlichen Alleingang dem Verbleib in der siechen Europäischen Union vor. Wir sollten nicht so tun, als ob die Entscheidung gegen die EU allein auf das besondere Selbstverständnis der Briten zurückgeführt werden könnte. Vielmehr haben die Debatte um den Brexit und sein Vollzug Schwachstellen offengelegt, die der EU nun erst recht zum Verhängnis werden könnten. Gefragt sind jetzt nicht blinde Durchhalteparolen auf dem Weg zur „immer engeren Union“, sondern die Anpassung der EU-Institutionen an Wünsche der Bürger.

          Gerieben haben sich die Briten vor allem an drei der EU-Mitgliedschaft zugeschriebenen Misslichkeiten: der Immigration, den finanziellen Kosten der Mitgliedschaft und dem Verlust an nationaler Souveränität. Hinzu kam der überall zu beobachtende Widerstand gegen die „Eliten“. Vor dem Hintergrund eines brummenden Arbeitsmarkts ging es bei der Sorge um die Zuwanderung nicht so sehr um die Konkurrenz um knappe Arbeitsplätze als um die Verteilung von Sozialleistungen, darunter nicht zuletzt die für alle Inländer bestehende staatliche Gesundheitsfürsorge. Zuwanderung wird dann zum Problem, wenn sie die Sozialleistungen für die Inländer bedroht. Auch in der Debatte um die Kosten der Mitgliedschaft ging es vornehmlich um die Umverteilung britischer Steuergelder an ausländische Empfänger. Solange es kein europäisches Staatsvolk gibt, gibt es klare Grenzen für grenzüberschreitende „Solidarität“. Schließlich stand hinter der Klage über den Verlust an nationaler Souveränität nicht nur die Sehnsucht nach der verlorenen Großmacht Britanniens. Es waren konkrete Beschwerden über die zunehmende Begrenzung der Entscheidungsbefugnisse des britischen Parlaments in wirtschafts-, sozial- und fiskalpolitischen Angelegenheiten, die Wasser auf die Mühlen der „Brexiteers“ lenkten. Im Gegensatz zu den die Migration, Verteilung und nationale Souveränität direkt betreffenden Programmen der EU wurde der Nutzen der europäischen Handelsgemeinschaft und des Binnenmarkts auch von den EU-Gegnern nie ernsthaft in Frage gestellt.

          Natürlich ist die Bewertung von Kosten und Nutzen der EU durch die Briten nicht direkt auf andere Völker übertragbar. Schon immer hatten die Briten ein nüchternes Verhältnis zur Europäischen Union. Den Briten fehlt der politische Imperativ zur europäischen Einigung, der durch die auf kontinentalem Boden ausgetragenen Kriege geschaffen wurde. Andererseits rückt mit der Zeit die aus der Nachkriegszeit stammende politische Begründung der EU in den Hintergrund und die wirtschaftliche nach vorn. Daher dürfte sich die britische Kosten-Nutzen-Analyse der EU nicht länger grundlegend von der in anderen Mitgliedsländern unterscheiden. Migration ist in allen Ländern ein drückendes Thema, Umverteilung kommt nur in den Empfängerländern gut an, und Souveränitätsverlust wird als schmerzlich empfunden. Fährt die politische Elite fort, diese Sorgen zu missachten, könnte die Exit-Debatte schnell auf Fixit (Finnland), Frexit (Frankreich) und schließlich gar Gexit (Deutschland) überspringen.

          Um dies zu vermeiden, müssten die bestehenden EU-Programme auf ihre Bürgerverträglichkeit geprüft werden. Bei der Währungsunion müsste die finanzielle Umverteilung unter Euroländern über Beistandsprogramme und die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) klar begrenzt werden. Bei der Bankenunion müsste der Vergemeinschaftung der Haftung durch eine gemeinsame Einlagenversicherung ein Riegel vorgeschoben werden. Der Fiskalunion durch Steuerharmonisierung und Vergemeinschaftung der Staatsfinanzierung durch die EZB-Ankaufprogramme müsste eine Absage erteilt werden. Und schließlich müsste der Entstehung einer Sozialunion durch Einwanderung in die nationalen Sozialsysteme entgegengetreten werden.

          All dies wird nicht ohne eine Einhegung des Europäischen Gerichtshofs abgehen, der durch seine integrationsfreundliche Auslegung des Europarechts gewachsene nationale Rechtsnormen aushöhlt. Nationale Parlamente müssen die Herren über die EU-Institutionen bleiben. Diese Institutionen und das Europäische Parlament dürfen sich nicht immer weitere Kompetenzen anmaßen.

          Die Zollunion und der gemeinsame Binnenmarkt haben große wirtschaftliche Vorteile gebracht, ohne die von den Briten identifizierten Befindlichkeiten zu berühren. Das legitimiert die Übertragung der Kompetenz in diesen Bereichen an EU-Kommission und Parlament. Nur wo die EU mehr Freiheit und Wohlstand bringt, wird sie durch „mehr Europa“ stärker. Ansonsten wird sie durch „mehr Europa“ zugrunde gehen.

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