Mayers Weltwirtschaft : Das Italien-Risiko
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Thomas Mayer Bild: Thilo Rothacker
Italiens Wirtschaft geht es schlecht. Das Land will mit höheren Schulden dagegen vorgehen. Das ist ein Sprengsatz für die Währungsunion.
Die Villa Vigoni ist eine dem deutschen Staat gehörende Perle am Comer See. Unter der umsichtigen Leitung von Christiane Liermann dient das Anwesen seit den achtziger Jahren als deutsch-italienisches Begegnungszentrum. Und seit Beginn der Eurokrise treffen sich dort Politiker, Beamte der EU-Kommission und Volkswirte aus Deutschland und Italien (mit wohltuender Moderation belgischer Kollegen) jedes Jahr zur Beurteilung der Lage. In diesem Sommer trieb viele Konferenzteilnehmer die Sorge um, dass sich Italien auf dem Weg zum Sprengsatz für die Europäische Währungsunion befindet.
Der Aufstieg der populistischen Parteien in die Regierung war kein Zufall. Er hat einen tieferen Grund: Schon seit Eintritt in die Währungsunion hinkt die Entwicklung der italienischen Wirtschaft der anderer Länder hinterher. Besonders dramatisch weitete sich der Rückstand seit der Finanzkrise von 2007/2008 aus. Während das reale Bruttoinlandsprodukt in anderen Ländern heute deutlich über dem Niveau von 2007 liegt, ist es in Italien gefallen. Dies hat dazu geführt, dass die Nettoeinkommen der italienischen privaten Haushalte heute deutlich geringer sind als vor zehn Jahren. Besonders betroffen waren die unteren Einkommensgruppen, die Einbußen von bis zu 25 Prozent hinnehmen mussten.
Bildung und Bürokratie
Die schwache Wirtschaftsentwicklung dürfte auch der wichtigste Grund für die Überschuldung des Staates und die prekären Finanzen der Banken sein. Verantwortlich für die schwache Wirtschaft sind im Wesentlichen ein Dickicht staatlicher Vorschriften, ein überaus schwerfälliges Rechtssystem und ein unzureichender Bildungsstand der Bevölkerung. In Italien haben weniger als zwei Drittel der Bevölkerung eine höhere Bildung, im EU-Durchschnitt haben dies drei Viertel und in Deutschland mehr als vier Fünftel. Es ist kaum zu erwarten, dass sich die Voraussetzungen für ein gesundes Wachstum der Wirtschaft in absehbarer Zeit verbessern werden.
Warum aber ist die Schwäche der italienischen Wirtschaft erst seit der Finanzkrise so offensichtlich geworden? Die Antwort darauf gab ein italienischer Ökonom, zugleich Mitglied des Parlaments. Mit dem Regimewechsel und Ende des Zweiten Weltkriegs entstand ein Strukturbruch und die italienische Wirtschaft begann, gegenüber dem Rest Europas aufzuholen. Als der anfängliche Schwung in den 1970er Jahren auslief, versuchte die Wirtschaftspolitik das Wachstum durch Inflationierung und Währungsabwertung aufrecht zu erhalten. Der Anfang der 1980er Jahre einsetzende globale Kampf gegen die Inflation erzwang ein Ende dieser Politik. Statt auf Inflationierung und Abwertung setzte die italienische Regierung nun auf einen Anstieg der Staatsverschuldung zur Stimulierung der Wirtschaft.
Der in den 1990er Jahren sich abzeichnende Eintritt in die Währungsunion führte zu einem Rückgang der Zinsen, der zur kurzfristigen Ankurbelung der Wirtschaft statt zur Konsolidierung der Staatsfinanzen genutzt wurde. Seit der Finanzkrise von 2007/2008 und insbesondere seit dem Beginn der Eurokrise im Jahr 2010 sind Inflationierung, Abwertung, Staatsverschuldung oder starke Zinssenkungen nicht mehr möglich und der Regierung fehlt die Kraft, die tief verwurzelten strukturellen Verkrustungen zu brechen.
Gefährliche Versprechen
Matteo Salvini, der neue starke Mann in der italienischen Politik, verspricht nun den Wählern, sie aus dieser misslichen Lage zu befreien. Seine rigorose Verhinderung unerwünschter Zuwanderung gegen den Mainstream der EU-Politik hat ihn glaubwürdig gemacht. Dem ersten Ziel seiner Wirtschaftspolitik, der Regierung größeren Spielraum in der Fiskalpolitik zu verschaffen, ist er mit der Suspendierung eines Verfahrens wegen überhöhter Budgetdefizite durch die EU-Kommission ein gutes Stück näher gekommen. Damit öffnet Salvini die Tür zur Rückkehr der Politik der 1980er Jahre, in denen eine expansive Fiskalpolitik Wirtschaftswachstum bringen sollte. Allerdings braucht er dazu die Unterstützung der Europäischen Zentralbank, die auch bei weiter steigender Verschuldung den Zins auf italienische Staatsanleihen niedrig halten muss.
Ob Salvini diese Politik auch in der nächsten Rezession als ausreichend erachten wird, ist zweifelhaft. Steigt der Unmut der Bevölkerung und sinkt seine Partei in der Gunst der Wähler, könnte er die Rückkehr zur Politik der 1970er Jahre einleiten. Das Instrument dazu hat er bereitgestellt. Mit den „Mini-Bots“ genannten unverzinslichen Schatzwechseln mit unendlicher Laufzeit könnte seine Regierung eine Parallelwährung schaffen, mit der Budgetdefizite finanziert, die Wirtschaft inflationiert und der effektive Wechselkurs abgewertet werden könnte.
Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute und Professor an der Universität Witten/Herdecke.