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Mayers Weltwirtschaft : China bremst

  • -Aktualisiert am

Thomas Mayer Bild: Thilo Rothacker

China vollzieht riskante Manöver, um die hohe private und öffentliche Verschuldung abzubauen. Das kann die Welt ins Chaos stürzen.

          3 Min.

          Die Entwicklung der Weltwirtschaft wird noch immer vom Abbau der über die vergangenen Jahrzehnte aufgebauten Verschuldung bestimmt. Die Geschwindigkeit der Entschuldung wird wiederum von den Zentralbanken gesteuert, vor allem von der Federal Reserve (Fed), der Bank der Volksrepublik China (PBoC) und der Europäischen Zentralbank (EZB). Jede dieser Banken verfolgt ihr eigenes Ziel. Man könnte sagen, sie gleichen Autos auf einer dreispurigen Autobahnfahrt, die nebeneinander herfahren.

          Auf der rechten Spur fährt die Fed. Nach zügiger Fahrt in den vergangenen Jahren, während der sie mehrmals die Geschwindigkeit steigerte, nimmt sie nun den Fuß vom Gaspedal. Dies wird wohl nicht ohne Folgen für die kreditabhängigen Sektoren der amerikanischen Wirtschaft bleiben. Mit dem Anstieg der Hypothekenzinsen, der durch das Manöver der Fed ausgelöst wurde, wird sich der Immobilienmarkt abkühlen. Ihm werden wohl die Bauwirtschaft und der private Konsum folgen, die von diesem Markt abhängen oder von ihm beeinflusst werden.

          Fed zwingt Schwellenländer zu scharfen Bremsmanövern

          Die Fed ist jedoch nicht allein auf ihrer Spur unterwegs. Hinter ihr fahren die Zentralbanken vieler Schwellenländer, die immer dichter aufschlossen, solange die Fed beschleunigte. Ihnen passiert nun, was jeder Autofahrer kennt. Nimmt der erste Fahrer in der Kolonne den Fuß vom Gas, steht der letzte auf der Bremse. Einige Zentralbanken in den Schwellenländern führen gerade Bremsmanöver durch, bei denen die Reifen quietschen. Die Folge davon dürfte eine starke Abkühlung der Konjunktur dieser Länder sein.

          In der mittleren Spur fährt die EZB. Sie war in der Vergangenheit nicht so schnell unterwegs wie die Fed. Angesichts der schlappen Wirtschaftserholung im Euroraum und der damit verbundenen Furcht vor Deflation möchte sie nun gerne beschleunigen. Dies gelingt ihr jedoch nicht so recht, weil ihr Fahrzeug einen Getriebeschaden hat: Die Banken im Euroraum leiden an zu vielen faulen Krediten und haben zu wenig Eigenkapital. Deshalb setzten sie die lockere Geldpolitik der EZB nur ungenügend in eine höhere Kreditvergabe an die Realwirtschaft um. Bis der Getriebeschaden behoben ist, was vielleicht gegen Ende dieses Jahres der Fall sein könnte, wird die EZB weiter mit eher mäßiger Geschwindigkeit dahinzuckeln.

          Auf der Überholspur ist die PBoC unterwegs. Sie fuhr mit hoher Geschwindigkeit und versucht nun, kontrolliert abzubremsen. Das ist nicht so einfach, denn die Fahrbahn ist glitschig. Es besteht die Gefahr, dass das Fahrzeug der PBoC ins Schleudern kommt. Wenn sie die Kontrolle über das Fahrzeug verliert, ist es nicht ausgeschlossen, dass sie aus ihrer Spur ausschert und in die Autos kracht, die auf den anderen Spuren unterwegs sind. Die daraus entstehende Massenkarambolage könnte eine globale Rezession einleiten.

          Zentrale Planung in China könnte ausnahmsweise ein Vorteil sein

          Wie stehen die Chancen, dass das Bremsmanöver der PBoC gelingt? Die Meinung der Akteure in den Finanzmärkten ist zu dieser Frage tief gespalten. Die eine Seite ist überzeugt, dass das Bremsmanöver misslingt und sowohl die chinesische als auch die Weltwirtschaft auf eine Bruchlandung zusteuern. Die andere Seite glaubt, dass der Versuch der kontrollierten Abbremsung gelingt.

          Beide Seiten können sich auf eine gemeinsame Analyse der Fakten einigen. Die private und öffentliche Verschuldung insbesondere der Gebietskörperschaften ist gefährlich hoch. Zum Teil sind die Exzesse noch gravierender als in den Vereinigten Staaten vor Beginn der Finanzkrise. Beide Seiten erkennen auch an, dass die chinesischen Geld- und Wirtschaftspolitiker die richtigen Maßnahmen ergreifen, um die Situation zu entschärfen.

          Der entscheidende Unterschied in der Beurteilung liegt darin, dass die eine Seite erwartet, dass die Politik letztlich die Kontrolle über das Geschehen verliert, während die andere glaubt, dass die Politik die Kontrolle behalten kann. In den Vereinigten Staaten ging den Akteuren in den Beratungen um eine geordnete Abwicklung von Lehman Brothers die Kontrolle verloren. Die Folgen waren dramatisch. Eine wesentliche Rolle spielte dabei, dass die Regierung die Akteure im Finanzsektor und im Parlament nur durch gutes Zureden zum Handeln bringen konnte. Dabei ging einiges schief.

          In China ist dies anders. Dort können Regierung und Zentralbank den wichtigsten Akteuren die notwendigen Handlungen vorschreiben. Im Normalfall ist dies von Nachteil, da dies zur Potenzierung der Irrtümer der zentralen Planungsinstanz führt. Im Notfall kann dies allerdings auch von Vorteil sein, weil schnell und zielgerichtet gehandelt werden kann.

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