Mayers Weltwirtschaft : Hört auf die Alten!
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Thomas Mayer Bild: Thilo Rothacker
Ehemalige Notenbanker haben die Geldpolitik der EZB unlängst stark kritisiert. Ihre Bedenken sollte man ernst nehmen.
Am 4. Oktober veröffentlichten sechs ehemalige Zentralbanker mit Unterstützung von zwei weiteren Kollegen ein Memorandum, in dem sie die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) kritisierten. Sie bemängelten, dass die Verfolgung eines Inflationsziels nicht dem der EZB erteilten Auftrag entspreche, die Null- und Negativzinsen kontraproduktive Wirkungen entfalteten und die Geldpolitik die Grenze zur monetären Staatsfinanzierung überschritten habe. Die Reaktion aus dem Lager der EZB-Unterstützer war scharf. Die „Financial Times“ empörte sich: „Nur eines kann der Größe der Beschwerdeführer entsprechen, und das ist die Hohlheit ihrer Beschwerde. Ihr Memorandum offenbart sie als die Bourbonen der Zentralbanken: Sie haben nichts gelernt und nichts vergessen.“ Doch statt Talleyrands Verdammung der Ewiggestrigen zu bemühen, wäre eine Auseinandersetzung mit den Argumenten sinnvoller gewesen.
Die Stabilität des Geldwerts umfasst viel mehr als die Stabilität von Konsumentenpreisen. Die Kaufkraft des Geldes schwindet auch dann, wenn die Preise für Vermögenswerte systematisch steigen. Und die gezielte Verringerung der Kaufkraft des Geldes, wie sie die EZB für Konsumgüter anstrebt, kann nur in Orwellschem „Doublespeak“ als Preisstabilität bezeichnet werden.
Enteignung von Geldvermögen
Tatsächlich stellt sie eine ungesetzliche, schleichende Enteignung der Besitzer von Geldvermögen dar. Verfolgt die Zentralbank um jeden Preis ein Ziel für die Inflation der Konsumentenpreise, obwohl sie diese kaum steuern kann, erzeugt sie enorme Verwerfungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Von steigenden Vermögenspreisen profitieren die Besitzer von Realvermögen, die Besitzer von Geldvermögen gehen leer aus. Die Alten gewinnen auf Kosten der Jungen, Verschuldung wird entgrenzt, und Firmen, die unter anderen Umständen nicht überleben könnten, bleiben als „Zombies“ am Markt. Produktivitätswachstum und die Ertragsrate für Kapital sinken, Preisblasen für Vermögenswerte erhöhen die finanzielle und wirtschaftliche Fragilität.
Von der EZB erzwungene Negativzinsen erschließen sich dem Betrachter nur mit einem „Doublethink“, der aus ökonomischen Modellen abgeleitet ist. Sie widersprechen dem gesunden Menschenverstand. Bei negativen Zinsen ist eine sinnvolle Investitionsrechnung unmöglich. Zeitlich fern liegende Projekte versprechen eine gegen unendlich gehende Rendite, während nahe liegende Projekte entbehrlich erscheinen. Von wirtschaftlich denkenden Menschen wird Zins als Entschädigung für den Aufschub von Konsum in die Zukunft verstanden. Die Notwendigkeit für diese Entschädigung entspringt dem Umstand, dass Zeit für jeden Menschen ein knappes Gut ist. Eine Veränderung der Lebensumstände kann bewirken, dass der Preis der Zeit, also der Zins, sinkt. Aber eine behördlich verfügte Abschaffung des Zinses als Ausgleich für die Verteilung des Konsums über die Zeit entmündigt die Menschen und liefert sie Sozialingenieuren aus, die mit ökonomischen Modellen hantieren.
Der größte Kreditgeber ist die Bundesbank
Zu Null- oder Negativzinsen gewährte langfristige Refinanzierungskredite (LTRO und TLTRO) erlauben es Banken, riskante Kredite zu niedrigen Zinsen zu vergeben und abfließende Einlagen bei der EZB zu refinanzieren. Grenzüberschreitende Überweisungen von Einlagen werden im Euroraum über das Interbankzahlungssystem Target2 auch dann ermöglicht, wenn dauerhaft keine Gegenfinanzierung durch Interbankkredite oder Kapitalimporte stattfindet. So können schwache Banken an schwache Unternehmen in Euroländern mit fragilen Staatsfinanzen günstige Kredite vergeben. Das Risiko wird auf die Zentralbank überwälzt, die den Abfluss von Einlagen über Target2 durch Kredite an das Eurosystem finanziert. Der größte Kreditgeber ist heute die Bundesbank.
Inzwischen hält die EZB in ihrem Ankaufprogramm für Staatsanleihen rund 25 Prozent aller ausstehenden Anleihen. Damit ist sie nicht nur zum größten Gläubiger der Eurostaaten geworden, sie bestimmt auch in hohem Maß die Konditionen, zu denen sich die Eurostaaten am Markt verschulden können. Eigentlich soll durch den Ankauf von Staatsanleihen Geld geschöpft werden. Tatsächlich ebnet er aber den Weg zu einer expansiveren Fiskalpolitik und einer weiteren Erhöhung der Staatsverschuldung. Es ist daher nur folgerichtig, dass EZB-Präsident Mario Draghi nun die Fiskalpolitik in der Pflicht sieht, von der Geldpolitik die Aufgabe zur Stimulierung der Wirtschaft zu übernehmen.
Die Politik der EZB spaltet nicht nur die vielgerühmte „Bruderschaft der Zentralbanker“, sondern auch die öffentliche Meinung in den Euroländern. Das kann langfristig für den Bestand des Euros gefährlich werden.
Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute und Professor an der Universität Witten/Herdecke.