
Mainstream-Ökonomie : Wettstreit der Ideen
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Zeigt wie es geht: Der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty hat mit seinem Werk die Lehrmeinung erschüttert. Bild: dpa
Nur wer dem Mainstream nach dem Mund redet, bringt es in den Wirtschaftswissenschaften zu Anerkennung. Das bemängeln Kritiker. Sie könnten das ändern - wenn sie wollen.
Es ist ein starker Vorwurf: Die Wirtschaftsforscher, die Wettbewerb und Konkurrenz predigen, sollen selbst ein Monopol errichtet haben. In ihren Theorien und Modellen kreist alles um ein einziges Paradigma – um sich selbst regulierende Marktkräfte und (mehr oder weniger) rationale Nutzenmaximierung. Wer diese Annahmen der „Mainstream“-Ökonomen ablehnt oder alternative Theorien vertritt, habe keine Chance auf Veröffentlichungen in einer der großen Fachzeitschriften, geschweige denn auf einen Professorenposten. Die Folge: eine einseitig verengte Forschung und eine realitätsferne Politikberatung. Das jedenfalls behaupten diejenigen, die sich selbst zu den „Heterodoxen“ zählen und für mehr Vielfalt in den Wirtschaftswissenschaften kämpfen.
Wenn sich die deutschsprachigen Ökonomen vom 6. September an in Münster zu ihrer Jahrestagung treffen, wird dieser bekannte Konflikt neu aufbrechen. Einen Steinwurf von der Konferenz des Vereins für Socialpolitik entfernt wird das „Netzwerk Plurale Ökonomik“, dem zahlreiche Hochschulgruppen angehören, eine Konkurrenzveranstaltung abhalten. Auf dem Programm stehen Themen wie Ungleichheit, Wirtschaftsethik, Wachstumskritik und eine feministische Forschungsperspektive. Schon 2012 hatte es eine Gegenveranstaltung gegeben. 2013 folgte eine gemeinsame Diskussionsveranstaltung bei der Ökonomentagung, im vergangenen Jahr eine von den kritischen Ökonomen veranstaltete Session im regulären Konferenzprogramm. Nach dieser Annäherung ist die abermalige Konfrontation in Münster ein Rückschritt. Es gibt zwar auch eine heterodoxe Session im Konferenzprogramm – doch in der finden sich die Netzwerk-Vertreter nicht wieder.
Sprachengewirr verhindert Verständigung
Warum kommen beide Seiten auf keinen grünen Zweig? Wer den Konflikt über eine längere Zeit verfolgt, stellt fest, dass es nicht nur an gemeinsamen Überzeugungen mangelt. Es fehlt eine gemeinsame Sprache, die eine Verständigung ermöglichen würde: Wenn die an den Universitäten etablierten Ökonomen von wissenschaftlicher Qualität sprechen, denken sie an empirisch gestützte Erkenntnisse und Publikationen in internationalen Fachzeitschriften. Für die Kritiker sind das nebensächliche Kategorien, gute Wissenschaft bedarf für sie erst einmal einer grundsätzlichen Gleichbehandlung verschiedener Theorien. Wenn die Etablierten darauf pochen, Studenten bestimmte Grundlagen als Handwerkszeug zu vermitteln, dann haben die Kritiker ein ganz anderes Verständnis davon, was diese Grundlagen sein sollten. Wenn die Etablierten einwenden, dass sich die Wissenschaft im vergangenen Jahrzehnt unter anderem durch verhaltensökonomische Ansätze und erweiterte makroökonomische Modelle stark gewandelt hat, dann halten Kritiker das nur für eine Verschiebung von Nuancen. Und wenn Neoklassiker definieren, welches Handeln „rational“ und „effizient“ ist, sehen Kritiker darin eine unzulässige Okkupation normativer Begriffe.
Die Beispiele machen deutlich, wie fundamental die Kritik der Heterodoxen ist. Sie hat zwei Ebenen. Inhaltlich betrifft sie Annahmen und Folgerungen der vorherrschenden Ökonomie. Strukturell zielt sie auf den Vorwurf, im wissenschaftlichen Betrieb benachteiligt oder ausgeschlossen zu werden.
Kein Paradigma ist in Stein gemeißelt
Hätten die Kritiker tatsächlich keine Möglichkeiten, sich mit ihren alternativen Ideen Gehör zu verschaffen, wäre das ein Problem. Aber so ist das nicht. Erstens ist es nicht außergewöhnlich, dass in einer Disziplin ein bestimmtes Paradigma vorherrscht, welches die Richtung bestimmt und Konformitätsdruck erzeugt. Das ist nie angenehm und möglicherweise ein Karrierehemmnis für diejenigen, die das Paradigma anzweifeln. Doch selbst wenn in gewisser Weise solch ein Monopol existiert, so ist das nicht in Stein gemeißelt. Entwickeln kritische Forscher Ansätze, die die Realität treffender beschreiben und Entwicklungen genauer vorhersagen, setzt sich ein neues Paradigma durch. So könnte es auch in der Ökonomie kommen. Doch die Kritiker von heute haben diese Leistung noch nicht erbracht. Zweitens hatten Wissenschaftler jenseits des Mainstreams noch nie so gute Möglichkeiten, sich zu vernetzen, Daten zu nutzen und ihre Erkenntnisse zu verbreiten, wie heute. Eine einzelne Forschungsarbeit, wie die des französischen Ungleichheitsforschers Thomas Piketty, kann in wenigen Wochen Diskussionen auf der ganzen Welt auslösen und alte Gewissheiten ins Wanken bringen. Die Wissenschaft ist lebendig und hat viele neue Facetten. Die Chance für junge Wissenschaftler, der Forschung eine neue Richtung zu geben, ist heute nicht kleiner als früher, sondern größer.
Recht haben die Kritiker, wenn sie bemängeln, dass von der Vielfalt der Ideen nicht allzu viel beim Nachwuchs im Hörsaal ankommt. Die Wirtschaftsgeschichte, die Ideengeschichte oder die Wirtschaftsethik sind keine Randbereiche, die Wirtschaftsstudenten erst zufällig am Ende ihres Studiums kennenlernen sollten. Längst nicht alle Wirtschaftsfakultäten haben das erkannt. Aber es liegt auch an den Studenten selbst, ob sie das Interesse und die Energie für eine umfassende und kritische Einordnung ihres Fachs aufbringen. Solches Wissen ist die Voraussetzung für einen aufgeklärten Umgang mit der vorherrschenden Forschung. Nicht alle Studenten fordern das mit Nachdruck ein.