https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/macht-im-internet/facebook-urteil-des-eugh-ist-niederlage-fuer-das-internet-13841520.html

Facebook-Urteil : Sieg für die Nutzer, Niederlage für das Internet

  • -Aktualisiert am

Max Schrems hat sich erfolgreich durch die Instanzen geklagt. Bild: dpa

Das Facebook-Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist ein Sieg für die Nutzer des Internets. Es verstärkt aber auch einen bedrohlichen Trend, der die Freiheit und Funktionsweise des Netzes fundamental gefährdet.

          5 Min.

          Dieses Urteil ist zunächst einmal ein Sieg. Ein Sieg für den österreichischen Jung-Anwalt Max Schrems, der seit vier Jahren mit Anträgen und Klagen versucht, den amerikanischen Internet-Konzern Facebook wegen mangelnden Datenschutzes in die Knie zu zwingen. Es ist ein Kampf David gegen Goliath, ein mittlerweile 28 Jahre junger Jurist und Aktivist gegen das größte soziale Netzwerk der Welt mit 1,5 Milliarden Nutzern, über 10.000 Mitarbeitern, einer Börsenbewertung von mehr als 250 Milliarden Dollar und genug Geld, sich eine Privat-Armee der besten Anwälte Amerikas und Europas zu halten.

          Und es ist ein Sieg für die Nutzer. Mit dem Urteil, das formal gegen den irischen Datenschützer gerichtet ist und noch vom irischen High Court bestätigt werden muss, hat das höchste europäische Gericht klargestellt, dass die Daten europäischer Onliner auf den Facebook-Servern in den Vereinigten Staaten nicht sicher genug sind. Zum einen können amerikanische Ermittler auf die Daten europäischer Nutzer nach Regeln zugreifen, die den europäischen widersprechen. Zum anderen sind die Nutzer nicht sicher vor breit gefächerten Zugriffen der amerikanischen Geheimdienste, wie sie der Whistleblower Edward Snowden enthüllt hat.

          Die Politik vernachlässigt das Internet

          Das Urteil betrifft nicht nur Facebook, sondern über 4400 Unternehmen, darunter die größten Online-Plattformen dieser Welt, die Daten europäischer Nutzer im amerikanischen Ausland speichern. Bisher war dies durch das sogenannte Safe-Harbour-Abkommen gedeckt, das amerikanische Datenzentren als sicheren Aufbewahrungsort auch für Informationen über Europäer deklarierte. Dieses Abkommen ist nun durch den Richterspruch unwirksam geworden.

          Doch der Sieg für die Nutzer ist gleichzeitig auch eine Niederlage für das Internet, für die Idee hinter dem machtvollsten Kommunikationsnetzwerk, das die Menschheit je geschaffen hat. Weil das Urteil deutlich macht, wie sehr die Politik das Internet vernachlässigt, ja es geradezu verlottern lässt. Statt dass in internationalen Abkommen und Verträgen die grundlegendsten Prinzipien des Netzes gesichert werden, und damit eine verlässliche Basis für Nutzer und Unternehmen festgeschrieben wird, sehen die Regierungen der westlichen Welt zu, wie die Gerichte notgedrungen die Arbeit übernehmen, weil sie sich selbst nicht einigen können. Und das ist alles andere als optimal.

          „Safe Harbor“-Urteil : EuGH schiebt Datenaustausch mit Amerika Riegel vor

          Es war klar, dass die Vereinigten Staaten nach den Snowden-Enthüllungen nicht mehr als Safe Harbour für Daten europäischer Nutzer angesehen werden können. Der Schnüffelhunger der Amerikaner geht sogar noch weiter: Noch immer kämpft Microsoft vor Gericht gegen ein Urteil eines Distrikt-Gerichts, das es amerikanischen Ermittlern erlaubt, Nutzerdaten vom Konzern zu verlangen, obwohl diese auf Servern in Europa gespeichert sind. Der richtige Weg wäre, über eine richterliche Anordnung im Ausland zu gehen.

          Schon beim Recht auf Vergessen, das der europäische Gerichtshof im Mai 2014 gegen Google durchsetzte, zeigte sich, dass die Zurückhaltung der Politik im digitalen Raum nicht immer gerechtfertigt ist. Es zwingt Suchmaschinen dazu, Links zu Artikeln, Blogeinträgen und Webseiten zu löschen, wenn sich ein Nutzer dadurch ungebührlich herabgewürdigt fühlt. Obwohl die Publikation des jeweiligen Artikels nach presserechtlichen Grundsätzen zulässig gewesen sein mag.

          Der Gedanke an eine bessere Welt

          Entschieden wird über die Eingaben allerdings durch Google selbst. Naturgemäß hat der Konzern primär ein Interesse daran, die in die hunderttausende gehenden Eingaben zügig abzuwickeln, statt das Informationsrecht der Öffentlichkeit zu verteidigen. Mittlerweile hat das Hamburger Oberlandesgericht die Rechtsprechung der Europarichter auf die Archivsuche auf journalistischen Webseiten ausgedehnt. Das Urteil führt dazu, dass sich nun selbst zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilte Betrüger nach wenigen Jahren bei Medien wie auch der F.A.Z. melden, um die Löschung der Links zu früheren Artikeln zu verlangen. Eine Entwicklung, die zu einer gefährlichen Bereinigung von Archiven führen und das berechtigte Informationsinteresse der Leser stark beeinträchtigen würde - falls sie nicht der Gesetzgeber stoppen sollte.

          Nun ist die Zurückhaltung der Politik eines der grundlegenden Prinzipien aus den Aufbaujahren des Internets. Geboren wurde es schließlich aus dem Gedanken heraus, dass die Welt durch das grenzenlose Teilen von Wissen gerechter, freiheitlicher, demokratischer, gesünder, wohlhabender, kurz besser werden würde. Ein weltumspannendes Netz freier Kommunikation, viel ausdrucksstärker als das Telefon, viel klüger als das Fernsehen sollte mit seiner Kraft Innovationen fördern, selbst und gerade wenn dadurch etablierte Strukturen ins Wanken geraten würden. Das Internet war auch eine ständige Mahnung an den Gesetzgeber, bestehende Schutzmechanismen etwa für etablierte Gewerbe durch neue Technologien in Frage stellen zu lassen - um verkrustete Strukturen aufzubrechen und neuen Raum zu geben.

          Doch während noch Anfang des Jahrtausends Netzaktivisten dem neuen Medium eine quasi subversive Kraft zusprachen, die kein Regime kontrollieren könne, zeigen die Entwicklungen der vergangenen Jahre in eine ganz andere Richtung: In China, Russland oder dem Iran hat der Staat längst die lenkende Kraft des neuen Mediums erkannt und ist mit großem Einsatz dabei, aus einem Instrument der Freiheit ein immer perfekteres Instrument der Kontrolle zu bauen, das über die Smartphones in die intimsten Bereiche eines Nutzers vordringt. Nichts bleibt mehr verborgen.

          Die Daten sind nicht unbedingt sicherer

          Auch andernorts fragmentiert sich das Netz, werden die Grenzübergänge in den freien Teil der Cyberwelt immer undurchlässiger. Immer mehr Nationen versuchen, das globale Medium mit nationalen Maßnahmen zu kontrollieren. Und immer mehr definieren Gerichte nationale Schutzzonen, die den freien Austausch im Web behindern. Umso wichtiger wäre es, dass zumindest der in einer Wertegemeinschaft vereinte Westen die Verteidigung von Sicherheit und Privatsphäre im Netz ernster nimmt als bisher und über Abkommen die wichtigsten Rahmenbedingungen verlässlicher regelt.

          Denn technisch verlangt das Urteil von globalen Online-Plattformen einen ziemlichen Unsinn. Die Profile der Facebook-Nutzer sind vielfach auf Servern in der Welt gespiegelt und es wäre ökonomisch absurd, wenn etwa die Urlaubsbilder eines deutschen Nutzers, die er in Australien hochlädt, physisch auf einem Server in Deutschland untergebracht und von seinen neuen australischen Freunden auch von dort wieder abgerufen werden müssten. Ähnliches gilt für andere Unternehmen, bei denen der globale Datenaustausch zum Geschäftsmodell gehört.

          Auch vor Schlapphüten sind die Daten in Europa nicht unbedingt sicherer. Etliche der jüngsten Enthüllungen zeigen, wie eng amerikanische Geheimdienste mit europäischen Diensten zusammenarbeiten. Zudem hat Frankreich nach den Anschlägen auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo die Befugnisse für seine Geheimdienste nach NSA-Vorbild ausgeweitet, so dass französische Lauscher in Verdachtsfällen quasi freien Zugriff auf Nutzerdaten haben - eher sogar noch weitgehender als in den Vereinigten Staaten.

          Es braucht einen neuen Gesellschaftsvertrag

          Den Richtern ist dabei kein Vorwurf zu machen. Sie tun, was Gerichte eben so tun: Sie entscheiden konkrete Fälle, versuchen ein Stückchen Recht zu schaffen, ein Stückchen Ordnung einzuzäunen. Aber rundherum wuchert der Dschungel wie bisher und was durch Urteile geordnet wurde bleibt dennoch unzusammenhängendes Stückwerk.

          Der Vorwurf trifft die Regierungen, die die Herausforderungen der digitalen Welt grotesk unterschätzt haben. Sie haben versäumt, den Datenschutz so zu regeln, dass er international auf Anerkennung stößt. Wer ein globales Netz will, muss Kompromisse machen. Weder das amerikanische Laissez faire, noch die deutsche Regelwütigkeit führen da weiter, die noch den letzten Nutzer vor seinem selbstverschuldeten Online-Exhibitionismus schützen möchte.

          Sie haben versäumt, den Geheimdiensten Schranken zu bauen, um notwendige Überwachung und Spionage von exzessiver Massenschnüffelei jenseits jeder Verhältnismäßigkeit zu separieren.

          Sie haben gedacht, es würde reichen, einfach die Regeln der Offline-Welt in die neue digitale Welt zu verlängern, um Ordnung aufrecht zu erhalten. Dabei ist ein digitaler Kosmos entstanden, auf den viele irdische Regelungen nur begrenzt passen. Es braucht kaum weniger als einen neuen Gesellschaftsvertrag, der das Verhältnis zwischen Bürgern, Staaten und Unternehmen im Digitalen  regelt - und zwar international, zumindest aber in der westlichen Wertegemeinschaft, in der das Internet als Wissens- und Partizipationsinstrument einstmals erdacht worden war.

          Sonst heißt es bald: Es war einmal das Internet.

          Weitere Themen

          Topmeldungen

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.