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Kultursubventionen : Was gefällt, hat schon verloren

Bild: Peter von Tresckow

Die Kulturausgaben haben sich seit 1975 verfünffacht. Das staatsfinanzierte Angebot geht oft an den Kunden vorbei. Die Orientierung an deren Wünschen gilt als geschmacklos.

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          Im Jahr 1888 gab es eine Debatte unter Ökonomen, was denn wohl die optimale Höhe für Staatsausgaben sei. Der Franzose Paul Leroy-Beaulieu meinte, 5 bis 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts dürfe man eine „moderate“ Staatstätigkeit nennen, bei 8 bis 10 Prozent würde er von „normal“ reden, alles über 12 Prozent aber müsse als „exorbitant“ bezeichnet werden. Tatsächlich spiegelt diese Einschätzung die reale Situation der damaligen Zeit: In Frankreich und Italien pendelten die Staatsausgaben um 13 Prozent des BIP, in Amerika lagen sie noch darunter. Der damalige Staat beschränkte sich auf seine zentralen Aufgaben: Verteidigung, Schutz der Bürger und ihres Eigentums, Verwaltung, Justiz.

          Rainer Hank
          Freier Autor in der Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Heute sind die Budgets aller industrialisierter Staaten, die sich aus Steuern und Schulden speisen, so hoch wie nie zuvor (siehe Grafik). Vor allem in den sechziger und siebziger Jahren, den „Goldenen Jahren des Wohlfahrtsstaats“, weiteten alle Regierungen die öffentliche Tätigkeit gravierend aus. Bis zu 50 Prozent und mehr des BIP machten in einigen Ländern die Staatsausgaben aus. Umverteilung von oben nach unten, aber mehr noch Umverteilung innerhalb der Mittelschicht (von den etwas Reicheren zu den etwas Ärmeren) haben die Staaten aufgebläht.

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          Es erfüllte sich jenes nach dem Ökonomen Adolph Wagner (1835 bis 1917) benannte Gesetz, wonach die Ausgaben (und damit der Finanzierungsbedarf) der Staaten immer nur wachsen, aber nie zurückgehen. Anders gesagt: Der Staat erfindet immer neue Aufgaben, die er meint übernehmen zu müssen, sehr selten jedoch trennt er sich von Aufgaben. Der Sozialstaat, einmal eingeführt, hat Ewigkeitsgarantie und, anders als der Markt, nie ein Wachstums-, dafür allerdings offenkundig ein Finanzierungsproblem.

          Die großzügige Subventionierung ist ein Selbstläufer

          „Kultur“ und ihre staatliche Förderung gilt hierzulande als zwingender Bestandteil eines guten und fortschrittlichen Wohlfahrtsstaates. Auch für Oper, Theater, Ballett, Museum oder Musikschule gilt das Wagnersche Gesetz. Genügten zur ästhetischen Erziehung der Bundesbürger im Jahr 1975 noch 1,8 Milliarden Euro, so gab der Staat 35 Jahre später, im Jahr 2010, gut 9,5 Milliarden aus - eine Steigerung um mehr als das Fünffache. Die Zahl der Musikschulen hat sich seither knapp verdoppelt, die der Museen hat sich seit Anfang der achtziger Jahren verdreifacht. An 84 deutschen Opernhäusern arbeiten 5000 festangestellte Musiker, 3000 Chorsänger und 1300 Solisten.

          Zwar klagen die Kulturschaffenden regelmäßig über knappe Kassen und schrumpfende Budgets; allein die Zahlen des Statistischen Bundesamtes geben das nicht her. Seit in den späten siebziger Jahren der legendäre Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hoffmann die Devise „Kultur für alle“ (für alle Schichten an allen Orten) zum Programm erhob, ist deren großzügige Subventionierung ein Selbstläufer, dies zu kritisieren dagegen ein Sakrileg.

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