Informatiker Richard Socher : Ein deutsches Toptalent
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Richard Socher in der großen Salesforce-Halle auf der Cebit in Hannover. Bild: Alexander Armbruster
Richard Socher kennt sich in Künstlicher Intelligenz blendend aus. Er hat Informatik in Leipzig studiert, ein eigenes Unternehmen gegründet – und Tipps für Deutschland.
Richard Socher kommt gerade aus Singapur. Die Entscheider in dem südostasiatischen Stadtstaat, die genau aufpassen, dass sie die wichtigen technischen Entwicklungen nicht verpassen, haben ihn um Rat gefragt: Welche Folgen ergeben sich aus den jüngsten Fortschritten in der Künstlichen Intelligenz (KI)? Socher kennt sich in dieser Schlüsseltechnologie bestens aus. Er ist Chefwissenschaftler des amerikanischen Technikunternehmens Salesforce, unterrichtet nebenher an der Stanford-Universität, hat schon einmal sein eigenes Unternehmen gegründet und erfolgreich verkauft, ist einer der „Young Global Leader“ des Weltwirtschaftsforums – und 34 Jahre alt. Rötlichblonde halblange zauselige Haare, neugierig, gelassen, gutgelaunt, in sich ruhend sitzt er nun in der großen Halle, die Salesforce auf der Technikmesse Cebit in Hannover gemietet hat. Socher ist dort ein Stargast, nachher soll er mit Managern von Google und dem Handelskonzern Metro diskutieren.
Jetzt bestellt er erst mal ein heißes Wasser. Deutschland müsse mehr tun, um in der Künstlichen Intelligenz mithalten zu können, antwortet er auf eine entsprechende Frage und hat gleich eine ganze Serie an Vorschlägen parat: Ein oder zwei Spitzen-Universitäten in diesem Bereich hielte er für sinnvoll und meint damit Fakultäten, die sich mit den führenden Einrichtungen etwa in den Vereinigten Staaten vergleichen können, mit Berkeley, dem MIT in Boston oder der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh, gemessen an prominenten Veröffentlichungen etwa. „Topforscher schauen auch Rankings an, und da sind wir nicht so gut“, sagt er. Wenn Socher „wir“ sagt, dann bezieht er sich auf Deutschland, denn hier kommt er her.
„In Deutschland hätte ich nicht die gleichen Geldgeber gefunden“
In Leipzig hat er seinen Bachelor in Informatik absolviert, den Master an der Universität in Saarbrücken und dem angegliederten Max-Planck-Institut, war zwischenzeitlich als Erasmus-Student in Frankreich und erforschte hernach für Siemens medizinische Bildverarbeitung in Princeton. Wirklich interessiert hatte ihn indes, wie Computerprogramme verstehen können, was wir sagen. „Mathe und Sprachen mochte ich schon in der Schule.“ Er ging für die Promotion nach Stanford und wollte die mittlerweile sehr angesagten KI-Methoden, die auf sogenannten künstlichen neuronalen Netzen basieren und unter Stichworten wie maschinellem Lernen oder „Deep Learning“ diskutiert werden, auf die Sprachverarbeitung anwenden. Beinahe hätte das nicht geklappt. „Meine ersten Paper wurden alle abgelehnt.“ Der Grund: „Es gab Zweifel daran, dass dies die richtige Methode für dieses Problem ist, die Haltung war etwa so: Das war doch etwas, das in den neunziger Jahren nicht funktioniert hat.“ Schließlich konnte er die Experten doch noch überzeugen und gewann in seinem Jahrgang sogar die Auszeichnung für die beste Promotion an seiner Universität.
Mittlerweile gibt es am grundsätzlichen Potential des maschinellen Lernens kaum noch Zweifel, stark gestiegene Rechenleistung und riesige Datenmengen haben die Genauigkeit der Programme in der Sprachverarbeitung und Bilderkennung merklich erhöht, so sehr, dass Unternehmen sie einsetzen können. Deshalb fürchtet Socher auch nicht, dass sich die Künstliche Intelligenz derzeit in einem Hype befindet und ein „KI-Winter“ drohe, also eine Phase der Stagnation, wie es sie in der Vergangenheit mehrmals gab. „Wenn, dann vielleicht ein kalifornischer Winter“, schmunzelt er: „Denn viele können die Methoden schlicht und einfach benutzen und damit Geld verdienen.“
Dahinter steckt eine zweite Schwäche, die er Deutschland attestiert, wenn es um Künstliche Intelligenz geht. Die Grundlagenforschung sei gut, die angewandte Forschung gerade im maschinellen Lernen ausbaubar, inklusive eines veritablen „Start-up-Ökosystems“. „Ich hätte in Deutschland vielleicht den gleichen Doktor machen können wie in Stanford, aber nicht die gleichen Geldgeber gefunden, um ein Unternehmen zu gründen.“ Das wollte er aber unbedingt, deswegen verzichtete er vorerst sogar auf eine Professur. Und auch darauf, direkt als KI-Fachmann in die Dienste eines der großen Technikkonzerne einzusteigen, die nach wie vor händeringend rund um den Globus für enorme Gehälter Talente suchen.
„Ich wollte eine Plattform aufbauen, die es auch Firmen ohne große Budgets ermöglicht, KI zu nutzen“, erinnert er sich. MetaMind taufte er seine Gründung, entschied nach wenigen Jahren allerdings dann doch, sie an Salesforce zu verkaufen aus der Überzeugung, sein Ziel so besser erreichen zu können: Socher wurde vom Chef eines Kleinunternehmens zum Chefwissenschaftler eines Konzerns, der international Geschäft macht und in Deutschland etwa die Einzelhandelskette Rewe, den Sportartikelhersteller Adidas oder die Buchhandelsgruppe Thalia zu seinen Kunden zählt. „Alle großen Unternehmen müssen genau analysieren, welche Produkte und Prozesse sie mit Hilfe von KI verbessern können“, rät er.
Salesforce bietet darauf basierend etwa an, zu analysieren, wie ein Unternehmen in sozialen Medien wahrgenommen wird, welche Werbemaßnahme sich eignet, wann potentielle Kunden wie angesprochen werden sollten. Socher leitet ein Forscherteam, das zugleich aber auch Grundlagen erforschen und Fachartikel in den wichtigen Zeitschriften publizieren kann und soll. Die führenden Experten kennt er gut, ist etwa befreundet mit dem in Montreal lehrenden Informatiker Yoshua Bengio, der seit Jahrzehnten an künstlichen neuronalen Netzen forscht.
Programmiersprache wichtiger als Fremdsprache
Wenig hält Socher von der gelegentlich geführten Diskussion über „Superintelligenzen“, worunter Fachleute Computerprogramme verstehen, die dem menschlichen Gehirn in nahezu jeder Hinsicht mindestens ebenbürtig sind. „Auch wenn eine solche Erfindung niemand ausschließen kann, gibt es bis heute keinen klaren Weg dorthin, wir wissen nicht, was uns fehlt.“ Er vergleicht das mit einer hypothetischen Diskussion über die Folgen von Zeitmaschinen. Dies lenke bloß ab von den wirklich existierenden Problemen, die sich nicht nur seiner Ansicht nach beispielsweise darum drehen, ob die gewaltigen verwendeten Datensätze wirklich die Realität genau abbilden, ob sie keine aus langer Vergangenheit resultierende Verzerrungen beinhalten, die dazu führen, dass Programme Geschlechter ungerechtfertigt diskriminieren.
Deutschland schließlich gibt er noch einen dritten Tipp: Eine bessere Ausbildung bieten in Computerkenntnissen. Bereits Berufstätige müssten es leicht(er) haben, sich KI-Fertigkeiten anzueignen. Und spätestens ab der siebten Klasse gehört Informatik und Programmieren seiner Ansicht nach in den Stundenplan. „Wichtiger als eine zweite Fremdsprache ist heute eine Programmiersprache“, findet er. Und sagt das als jemand, der sich für Sprachen interessiert; darum werden sich aber zusehends die Computer kümmern.