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Künstliche Intelligenz : „Wir haben Halbzeit, und es steht vier zu null für Amerika“

Bild: FAZ.NET

Fabian Westerheide investiert in schlaue Computer. Er sagt, was wir besser machen müssen. Und was unsere Maschinen mit dem Trojanischen Pferd gemein haben.

          3 Min.

          Fabian Westerheide hat alle Hände voll zu tun: Nächste Woche ist wieder „Rise of AI“. So nennt er seine Konferenz über Künstliche Intelligenz (KI), die als Ideenaustausch im kleinen Kreis begann und nun ein angesagtes Treffen ist in Berlin. Chris Boos wird da sein, der Gründer des deutschen KI-Unternehmens Arago, der Wissenschaftler Kevin Warwick, der sich mit der Verschmelzung von Mensch und Maschine befasst, und Charles-Edouard Bouée, der Chef der Unternehmensberatung Roland Berger.

          Alexander Armbruster
          Verantwortlicher Redakteur für Wirtschaft Online.

          Westerheide glaubt, dass Künstliche Intelligenz eine Schlüsseltechnologie dieses Jahrhunderts ist und ziemlich alles verändern wird. Jeder Einzelne müsse sich darauf einstellen, Staaten ebenfalls. 7500 Unternehmen rund um den Globus hat er gerade analysiert, um eine Antwort auf die Frage zu finden, wer eigentlich die Nase vorne hat, und vor allem, ob die Bundesrepublik den Anschluss verliert oder schon verloren hat. Sein Ergebnis: „Im internationalen Vergleich stehen wir auf Rang 5.“ Ganz weit vorne seien derzeit die Amerikaner mit einem Marktanteil von 40 Prozent „an allen relevanten Unternehmen“. Dann folgten Chinesen und Israelis mit jeweils 11 Prozent, danach England, Frankreich und Deutschland. „Also: Wir haben etwas an Künstlicher Intelligenz hier, aber wir sind deutlich kleiner als die relevanten Spieler.“

          Woran liegt das? „Erste und einfachste Antwort: Zu wenig Kapital fließt in Innovationen“, findet Westerheide und ergänzt: „Zu wenig Kapital fließt in Unternehmertum und Unternehmen, die wachsen können.“ Gleichzeitig verfügten Deutschland (und Europa) über eine gute Grundlagenforschung, die es aber nicht schaffe, „ausreichend Produkte auf den Markt zu bringen, die wirklich einen Kundennutzen befriedigen“. Seiner Ansicht nach klappt hierzulande das Zusammenspiel zwischen Forschung, Unternehmern, Investoren „und auch Konzernen, welche die Daten haben und den Kundenzugang“, nicht so gut.

          Westerheide selbst ist seit Jahren Unternehmer. Die von ihm gegründete Wagniskapitalgesellschaft Asgard steckt Geld in Start-ups, die an schlauen Computerprogrammen tüfteln, die Namen haben wie Parlamind, Micropsi Industries und Accelerated Dynamics und einer breiteren Öffentlichkeit bislang nicht bekannt sind. An kreativen Unternehmern mangelt es seiner Meinung nach nicht, wenn es um Künstliche Intelligenz geht. „Ideen haben wir genügend, wir haben sehr gute Gründer.“ Er, Westerheide, vermisse hingegen eine Vision. „Wo wollen wir hin?“, fragt er und gibt als Antwort: „ Wir wollen Technologie benutzen, damit wir alle weniger arbeiten müssen, länger leben, damit wir alle einen besseren Wohlstand haben.“

          Nach Ansicht einiger führender europäischer Wissenschaftler im sogenannten maschinellen Lernen, dem derzeit besonders angesagten KI-Bereich, muss Deutschland aufpassen, langfristig nicht abgehängt zu werden. Sie nennen nicht nur amerikanische Spitzenfakultäten, sondern auch Tech-Konzerne wie Alphabet (Google), die sogar Konkurrenten in der Grundlagenforschung seien.

          Zugleich ist die Ansicht verbreitet, dass diesen Unternehmen auf ihren Märkten mittlerweile wenig neue Konkurrenz entgegenzusetzen ist. „Wir haben Halbzeit, und es steht vier zu null für die andere Seite“, vergleicht Westerheide die Vereinigten Staaten mit Europa: „Wir können das noch aufholen und vielleicht ein Unentschieden hinkriegen. Was wir verloren haben, ist aus meiner Sicht das Endkonsumentenspiel. Das ist von Google, Amazon, Apple schon gewonnen.“

          Die große Chance für Deutschland liege im Geschäft zwischen Unternehmen („B2B“). Die Automobilbranche, den Maschinenbau, Chemie und Pharma nennt er als Beispiele, in denen Deutschland seine Stärken ausspielen könne. „Jede Maschine, die wir produzieren, und wir machen sehr gute Maschinen, sollte eigentlich indiziert werden mit Künstlicher Intelligenz made in Europe, und die sollten wir dann in die Welt verkaufen“, sagt Westerheide. Und erklärt das mit einer Metapher: „Maschinen sind das Trojanische Pferd für Software. Wir müssen nur anfangen, unsere Maschinen mit Intelligenz anzureichern, damit wir den Leuten nicht nur ein physisches Produkt verkaufen, sondern auch eine intelligente Lösung für ihre Probleme.“

          Er selbst wirbt dabei für den Standort Berlin, das ist die Wahlheimat des auf einem Bauernhof aufgewachsenen gebürtigen Ostwestfalen. „Würde es nur um ökonomische Gründe gehen, würde ich nur Geld verdienen wollen, dann wäre ich im Silicon Valley. Da sind alle Faktoren signifikant größer und besser“, sagt er. Aber er will hier in Deutschland etwas bewegen. Und gerät dabei ins Schwärmen: „Wir brauchen eine europäische KI-Strategie, den Willen, KI zu verwenden. Für die interne Sicherheit, für die externe Sicherheit, für die Außenpolitik, für die Wirtschaftspolitik. Es ist ein Werkzeug, das wir aktiv benutzen und auch beherrschen wollen, damit es nicht andere machen.“

          Außerdem empfiehlt er, in der Bildung IT-Kenntnissen einen größeren Stellenwert einzuräumen. „Jeder sollte mindestens zwei fremde Sprachen sprechen – eine Menschensprache, eine Maschinensprache.“ Als persönliche Haltung empfiehlt er: Wer heute in die Schule gehe, solle sich darauf einstellen, dass das, was er später mache, noch gar nicht existiert. Und sich darauf freuen.

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