Neuer Aufruf : Künstliche Intelligenz – Europäische Forscher schlagen Alarm
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Daten, Daten, Daten - so sieht es in einem Serverzentrum von Google aus. Bild: dpa
Google ist stark, Amerikas Spitzenuniversitäten sind Weltklasse. Eine Gruppe Wissenschaftler in Europa fürchtet nun, abgehängt zu werden. Und macht einen Vorschlag.
Amerikanische Technologiekonzerne heuern rund um die Welt Talente für Künstliche Intelligenz (KI) an, die chinesische Führung hat sich vorgenommen, die Volksrepublik zur führenden KI-Nation des Planeten zu machen. Nun schlagen Spitzenforscher in Europa Alarm und warnen davor, in der grundlegenden Erforschung dieser Schlüsseltechnologie ins Hintertreffen zu geraten. In einem Schreiben, das sie nun im Internet veröffentlicht haben (hier), regen sie einen länderübergreifenden Verbund an, der eine akademische Ausbildung und eine daran anknüpfende Wissenschaftskarriere auf allerhöchstem Niveau ermöglichen soll.
„In den vergangenen fünf Jahren hat das Interesse der Wirtschaft daran so stark zugenommen inklusive exzellenter Angebote für Fachleute, dass auch viel Grundlagenforschung nun in den Unternehmen gemacht wird“, sagt Bernhard Schölkopf, Professor am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme und einer der Unterzeichner des Aufrufs. Weitere sind Zoubin Ghahramani (Cambridge), Francis Bach (Inria, Paris), Yair Weiss (Hebräische Universität, Jerusalem), Max Welling (Universität Amsterdam) und Thomas Hofmann (ETH Zürich). Sie alle zählen zu den forschungsstarken Fachleuten im sogenannten maschinellen Lernen und damit jenem Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz, das derzeit besonders angesagt ist.
„Überrascht von Google“
Riesige Datenmengen und immer schnellere Rechner haben Computerprogramme, die sich an der vermuteten Funktionsweise des Gehirns orientieren, deutlich verbessert etwa in der Bilderkennung und dem Verstehen und Übersetzen von Sprachen. Die amerikanischen Unternehmen Google, Facebook und Amazon setzen dies beispielsweise in ihren Angeboten ein, Ingenieure tüfteln an selbstfahrenden Autos. „Wir sind überrascht worden davon, wie sehr ein Unternehmen wie Google seinen Forschern echte Grundlagenarbeit inklusive freier Publikation der Ergebnisse ermöglicht“, sagt Matthias Bethge, Informatiker in Tübingen und ebenfalls Unterzeichner des Aufrufs.
Konkret schlagen die Forscher nun vor, in ihren Staaten Spitzenlabore zu gründen und über einen zwischenstaatlichen Vertrag so zu verbinden, dass Studierende im maschinellen Lernen etwa einen Master und Doktorabschluss (PhD) machen können. „European Lab for Learning & Intelligent Systems“ (Ellis) nennen sie ihre Initiative. Jedes Forschungszentrum könne zunächst mit 100 Millionen Euro ausgestattet werden, um eine wettbewerbsfähige Infrastruktur aufzubauen, und in den ersten zehn Jahren über ein gesichertes und bis auf jeweils 30 Millionen Euro ansteigendes Budget verfügen. Die genaue Höhe könne aber jedes beteiligte Land entscheiden, sie müsse nicht gleich sein.
Als Vorbild für ihre Idee nennen sie die schon in den siebziger Jahren in Europa auf den Weg gebrachte Initiative in der Molekularbiologie (EMBL), die sich als durchaus großer Wurf erwiesen hat. Daraus hervorgegangene Forschung ist schon mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden.
Lob für den europäischen Vorschlag gibt es etwa aus Kanada, das in Montreal und Toronto starke Fakultäten aufgebaut hat, um die herum sich eine lebhafte Start-up-Szene entwickelt. „Ich denke, dass es für die europäische Wirtschaft essentiell ist, so ein Institut zu gründen, und da geht es nicht nur um wissenschaftliche Führerschaft und Wirtschaftswachstum, sondern auch um moralische Führerschaft“, kommentiert Yoshua Bengio, der seit Jahrzehnten international anerkannt ist auf dem Gebiet. „Die Künstliche Intelligenz ist zentral für zukünftige Technologien, und das maschinelle Lernen ist ihr Motor. Ich unterstütze diesen Aufruf der europäischen Spitzenforscher in diesem Bereich“, sagt der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Martin Stratmann.
„China und Amerika betreiben massiv Industriepolitik. Europa hatte dem bisher wenig entgegenzusetzen. Aber das muss nicht so bleiben“, sagt der Informatiker Jürgen Schmidhuber, der den Forschungszweig rund um die sogenannten künstlichen neuronalen Netze revolutionierte und eine Art künstliches Langzeitgedächtnis entwarf, das heute in Milliarden Mobilfunktelefonen steckt. Schmidhuber weist auch auf eine wirtschaftlich wichtige Ergänzung der Forschung hin. „Es ist zwar recht leicht, in Deutschland eine Firma zu gründen“, sagt er: „Aber in Amerika und China ist es leichter, Firmen schnell zu skalieren.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat auf der Hannover Messe gerade angekündigt, die deutschen Aktivitäten in der Forschung und Entwicklung Künstlicher Intelligenz bündeln zu wollen. Außerdem hat die schwarz-rote Koalition vereinbart, ein deutsch-französisches KI-Forschungszentrum aufzubauen. Die deutsche Wirtschaft unterstützt das Anliegen, die KI hierzulande und in Europa voranzubringen.