https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/kuenstlersozialversicherung-verursacht-hohe-kosten-14410014.html

Unerträgliche Kosten : Wirtschaft läuft gegen die Künstlersozialkasse Sturm

Ruf nach Reform: Arbeitgeber kritisieren hohe Kosten durch die Künstlersozialversicherung. Bild: Your_Photo_Today

Selbständige Künstler und Publizisten freuen sich über die Privilegien der Künstlersozialversicherung. Doch die Wirtschaft hat an dem weltweit einmaligen Modell etwas auszusetzen.

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          Die Privilegien in der Sozialversicherung von selbständigen Künstlern und Publizisten bescheren den Unternehmen hohe Bürokratiekosten. Für jeden abgeführten Euro fällt bei den Arbeitgebern ein weiterer Euro an. Das kostet die Wirtschaft rund 250 Millionen Euro im Jahr, wie aus aktuellen Berechnungen der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände hervorgeht. Deren Hauptgeschäftsführer Volker Fasbender dringt gegenüber dieser Zeitung deshalb auf eine Reform des Systems. „Die deutsche Künstlersozialversicherung ist ein weltweit einmaliger Sonderweg, der die Unternehmen mit unerträglichen Bürokratiekosten und höchster Rechtsunsicherheit belastet“, sagt er. Die Versicherten sollten die Abgaben selbst an die Versicherung abführen oder zumindest in der Rechnung auf die Abgabenpflicht hinweisen. Derzeit liegt die Pflicht zur Prüfung auf Versicherungspflicht beim Auftraggeber.

          Sven Astheimer
          Verantwortlicher Redakteur für die Unternehmensberichterstattung.

          Wenn die Politik das nicht schaffe, gehörten die Privilegien abgeschafft, sagt Fasbender. Künstler und Publizisten sind aus seiner Sicht nicht schutzbedürftiger als andere Selbständige. Auch derArbeitgeberverband Gesamtmetall kritisiert die jetzige Form. Dabei gehe es nicht darum, dass die Unternehmen einen geringeren Beitrag zur Künstlersozialversicherung entrichteten, sagte dessen Vorstandsmitglied Petra Credé dieser Zeitung. „Vielmehr muss der unverhältnismäßige, durch die Betriebsprüfung durch die Deutsche Rentenversicherung noch weiter verschärfte Verwaltungsaufwand mit einer grundlegenden Reform des Verfahrens erheblich reduziert werden.“

          Seit 1983 müssen unter anderem Theater, Verlage, Galerien und Werbeagenturen sowie andere Arbeitgeber eine Sonderabgabe für freie Künstler und Publizisten entrichten, die sie beauftragen. Dazu kommt noch ein Bundeszuschuss aus Steuermitteln. Die Begünstigten müssen dann in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung nur etwa die Hälfte der Beiträge selbst beisteuern und sind damit ähnlich begünstigt wie Arbeitnehmer. Zuletzt kamen rund 250 Millionen Euro aus der Wirtschaft, 175 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt und 460 Millionen Euro aus Versichertenbeiträgen.

          Zahl der Versicherten stark gestiegen

          Die Zahl der Versicherten ist stark gestiegen – allein in den vergangenen zwanzig Jahren von rund 80.000 auf zuletzt 180.000. Das hängt auch mit der Ausweitung der in Frage kommenden Berufe zusammen, von denen es mittlerweile mehr als hundert gibt. Verbandschef Fasbender ergänzte, dass es inzwischen schon Hunderte von Urteilen dazu gebe, wer künstlerisch oder publizistisch tätig sei und wessen Leistungen damit unter die Abgabepflicht fielen. „Die unzähligen Fragen verstopften die Sozialgerichte. „Inzwischen gibt es sogar Urteile zu Grabrednern, japanischen Teemeisterinnen oder Juroren in Castingshows.“ Dies zeige, wie rechtsunsicher das ganze Verfahren sei und wie schwer es den Unternehmen fallen müsse, im Einzelfall die richtige Beurteilung zu treffen.

          Die steigende Zahl von Mitgliedern treibt auch die Kosten in die Höhe. Laut hessischer Wirtschaft ist der Bundeszuschuss je Kopf von 671 Euro im Jahr 2000 auf 971 im Jahr 2014 gestiegen. Die Verwaltungskosten der Künstlersozialkasse in Wilhelmshaven von fast 11 Millionen Euro trägt ebenfalls der Steuerzahler allein. Der Beitragssatz für abgabepflichtige Unternehmen legte von 3,9 Prozent 2012 auf 5,2 Prozent 2014 zu.

          Reformen der Künstlersozialversicherung werden in der Politik regelmäßig diskutiert. Ein Ansatz ist die Gründung von Ausgleichsvereinigungen, die für die Mitgliedsunternehmen die Aufgaben gegenüber der Künstlersozialkasse übernehmen. Gesamtmetall hat eine solche Organisation schon geschaffen. Nach Angaben von Vorstandsmitglied Credé gibt es aber auch dort große bürokratische Schwierigkeiten. Für Fasbender sind sie nur eine Notlösung.

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