Gelbe Plage : Mehr Mais geht nicht
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2,6 Millionen Hektar Mais gibt es in Deutschland – eine Fläche, zehnmal so groß wie das Saarland. Bild: INTERFOTO
Die Energiewende hat das ganze Land zur Maisplantage gemacht. Gegner kritisieren die „gelbe Plage“ als unnötig – und sogar als gefährlich. Doch jetzt dreht sich der Wind.
Früher war alles besser. Da wuchsen auf Deutschlands Äckern Weizen, Roggen und Gerste. Leuchtendes Ährengold, aus dem die Bäcker und Brauer Brot und Bier machten. Wer heute durchs Land fährt, sieht von Nordfriesland bis zur Oberpfalz, von der Altmark bis ins Emsland etwas völlig anderes: grüne Felder, auf denen sich dicke Stengel drei Meter hoch der Sonne entgegenrecken. Bis zur Ernte im Herbst sieht Deutschland aus wie eine große Maisplantage.
Es gibt Leute, denen das gefällt. Rund 3000 von ihnen erwartet das Landhandelsunternehmen Dehner, in anderen Kreisen vor allem wegen seiner Gartencenter bekannt, in zwei Wochen zu seinen „Maisschautagen“ in Rain am Lech, einer Kleinstadt zwischen Ingolstadt und Augsburg. Zum großen bayerischen Dreiklang aus Festzelt, Fassbier und Blaskapelle gibt es für sie dann ein besonderes Schmankerl: Mehr als 120 verschiedene Maissorten hat die Firma hinter ihren Hallen zu Demonstrationszwecken angepflanzt. Manche haben besonders kräftige Stengel und kleine Kolben, bei den nächsten ist es umgekehrt. Hier sind die Blätter hellgrün, da dunkel. Für Maisfreunde: faszinierend.
Aber die anderen, die sich von all dem Mais auf Deutschlands Äckern gestört oder sogar bedroht fühlen, haben derzeit mehr zu sagen. Der Mais, finden sie, zerstört das Landschaftsbild. Er ist schuld daran, dass es so häufig Überschwemmungen gibt, weil er später im Jahr wächst als anderes Getreide und die Reihen zwischen den Stengeln so groß sind, weshalb das Regenwasser zu schnell abfließt. Er bedroht die Artenvielfalt. Und wenn er zu Biogas vergärt wird, verschlingt er nicht nur Milliarden von Subventionen, die für die Energiewende draufgehen. Er hat vorher auch noch den Platz auf dem Acker für andere, edlere Pflanzen versperrt.
„Gelbe Plage“
Nicht einmal den Klimaschutz dank Biogas lassen die Maisfeinde als Pluspunkt gelten: Die Äcker setzten nachts so viel Lachgas frei, ein Stickoxid, dass dieser Effekt sich sogar ins Gegenteil verkehre, heißt es. Vor der „Vermaisung“ des Landes wird gewarnt, der „gelben Plage“, die alles plattmache. Sogar die Umweltministerin hat den Mais auf dem Kieker. Der Mais, kurzum, ist der neue Oberschurke der modernen Landwirtschaft.
All die Vorwürfe können sie in Rain am Lech, wo bald das große Maisfest steigt, nicht mehr hören. „Kommt alles auf die Anbaumethode an“, hält Manfred Neubauer dagegen, einer der Agrarberater der Firma Dehner: Auf die Fruchtfolge, die Maissorte, die Winterbegrünung, die Entscheidung, den Boden nicht zu pflügen, sondern nur mit einem Grubber aufzulockern. Neubauer ahnt, dass es für solche Details kein Gehör mehr gibt. Viel zu fest steht die Front der Mais-Gegner. Manche Landwirte säen schon rund um ihre Maisfelder Streifen mit Gräsern und bunten Blumen an. Zur Tarnung.
Tatsächlich hat sich seit dem Jahr 2000 keine andere Nutzpflanze so breitgemacht wie der Mais. Die Gerste hat er locker abgehängt, Roggen und Raps sowieso. Nur der Weizen hält sich noch, aber von dem stehen im späten August höchstens noch die Stoppeln. Dabei war der Mais ursprünglich ganz woanders zu Hause, bei den Inkas und Azteken. Jetzt bauen ihn die deutschen Landwirte auf 2,6 Millionen Hektar an, seit 2000 ein Zuwachs von 73 Prozent: eine Fläche, zehnmal so groß wie das Saarland.
Vermaisung Deutschlands
Die Erklärung ist einfach. Die Kuh- und Schweinehalter brauchten nicht plötzlich so viel mehr Futter für ihr Vieh, auch der Popcorn-Verbrauch stagniert. (Nebenbei: Die süße Maissorte, die uns Menschen schmeckt, gedeiht ohnehin nur in wärmeren Gefilden, wird vor allem aus Frankreich und Italien importiert.) Aber seit dem Jahr 2000 sind in Deutschland rund 8000 Biogasanlagen gebaut worden, an den Kuppeln ihrer runden Gärbehälter bestens zu erkennen.
Über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und die Einspeisevergütung für Ökostrom hat der Staat ihren Betreibern bislang rund 48 Milliarden Euro überwiesen. So erklärt sich die Vermaisung Deutschlands ganz simpel. 48 Milliarden sind nur ein Bruchteil der Gesamtkosten für die Energiewende, aber an und für sich eine gewaltige Summe. Damit ließe sich ein respektabler Staat wie Bolivien, wo die Inkas herkommen, drei Jahre lang finanzieren.
Ein Stück vom Kuchen hat Alois Abt bekommen. Ihm gehört ein 100-Hektar-Bauernhof in Bayerisch Schwaben, nicht weit von Rain am Lech. 2005, da war er 37 Jahre alt, machte er sich Gedanken über die Zukunft. Im Stall standen damals 45 Milchkühe. Um sie zu füttern, baute Abt auf 25 Hektar Mais an. Er ging zur Beratung ins Landwirtschaftsamt. So sei der Hof langfristig nicht überlebensfähig, hieß es. „Wir hatten die Wahl: Entweder verdoppeln wir die Viehhaltung. Oder wir setzen auf Biogas.“
Erfüllungsgehilfen der Landschaftsschutzbehörde
Alois Abt ist ein neugieriger Mann, er glaubt an den technischen Fortschritt, also entschied er sich für die zweite Variante. Er verkaufte seine Kühe und nahm einen Kredit auf, um Fermenter und Blockheizkraftwerk bauen zu können, erweiterte die Anlage 2010, jetzt hat sie eine Leistung von 500 Kilowatt. Dafür befüllt Abt sie mit Gülle, Gras – und Mais, der vorher samt Stengel und Blättern gehäckselt und im Silo haltbar gemacht wird. Seine eigene Maisanbaufläche hat der Landwirt aus Bayern verdoppelt, außerdem kauft er gut 1500 Tonnen im Jahr zu. Warum sich das für ihn lohnt? Abt will sich nicht in die Bücher schauen lassen, aber er hat keine Einwände gegen die branchenüblichen Durchschnittswerte: Etwa 2,5 Millionen Euro kostet so eine Anlage, 4 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugt sie im Jahr, genug für ein 600-Einwohner-Dorf. Rund 800.000 Euro Einspeisevergütung garantiert das EEG dafür, zwanzig Jahre lang. Da bleibt was für die Tilgung übrig.
So wie Alois Abt haben viele Landwirte in den vergangenen Jahren gerechnet und sind zu Energiewirten geworden, viel mehr als von den Politikern erwartet. Die rieben sich bald verwundert die Augen, wie schnell die EEG-Milliarden die Landwirtschaft umkrempelten, eine ganze Branche samt Zuliefer-, Wartungs- und Beraterindustrie entstehen ließen – und nebenbei den Mais zur Pflanze der Stunde machten.
Die meisten Landwirte verstehen sich nämlich nicht als Erfüllungsgehilfen der Landschaftsschutzbehörde, sondern als Unternehmer – noch dazu als solche, deren Kapitaleinsatz wegen der teuren Maschinen und der Bodenpreise ungewöhnlich hoch ist. Unternehmer, das weiß jeder, müssen flexibel sein, ihre Chancen nutzen. Also Mais anbauen.
Wunderpflanze der Landwirte
Denn der Mais ist für die Kalkulation vieler Landwirte eine Wunderpflanze. Er ist genügsam, braucht keine fetten Böden. Er mag den vielen Regen, den es in Deutschland im Frühsommer gibt. Er liefert je Hektar fünfmal so viel Ertrag wie Weizen. Außerdem ist er robust, Parasiten und Pilze haben gegen ihn kaum Chancen. Das zahlt sich aus: Während Getreideanbauer jedes Weizenfeld bis zur Ernte vier- oder fünfmal mit Pflanzenschutzmitteln bearbeiten, genügen dem Mais zwei Durchgänge. Und er wandelt Sonnenkraft unschlagbar effizient in Stärke um, sprich Energie, was für die Biogaserzeugung entscheidend ist.
Doch jetzt dreht sich der Wind. Denn in Deutschland haben sich die Mais-Gegner durchgesetzt, mit der Biogasherrlichkeit ist es vorbei. Vom nächsten Jahr an gilt ein neues EEG. Und nicht einmal CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer, der in den Verhandlungen wie üblich für seine bayerischen Energielandwirte in die Bresche sprang, konnte es verhindern: Künftig wird nicht mehr Biogas besonders üppig gefördert, sondern Windkraft. Statt 19 Cent je Kilowattstunde, die bislang für Strom aus Biogas durchschnittlich gezahlt werden, sollen es nicht einmal mehr 15 Cent sein. Und in den Anlagen soll der Mais-Anteil am vergärten Material Schritt für Schritt sinken, von zurzeit 60 auf 44 Prozent. „Maisdeckel“ heißt das auf Bürokratisch.
„Die Reform ist Mist“
Einige Mais-Gegner hätten es gerne noch deutlicher gehabt. Jan Plagge, der Präsident des Biobauernverbands „Bioland“ zum Beispiel. „Die Reform ist Mist, weil sie keine Alternative zum Mais bringt“, schimpft er. „Und weil sie die gesellschaftlichen Gesamtkosten nicht einpreist.“ Ein Bonus für Kleegras und Luzerne müsse her. Würden statt Mais öfter diese Pflanzen angebaut, täte das dem Boden gut, außerdem der Tierwelt.
So oder so, Deutschlands Felder werden sich, wie auf Knopfdruck, abermals verändern. Mit jeder Biogasanlage, die von 2020 an aus der komfortablen 20-Jahres-Förderung herausläuft, wird die Maisfläche zurückgehen. Meist dürfte stattdessen Weizen angebaut werden. Und in Bayerisch Schwaben liebäugelt Alois Abts Sohn damit, Gästezimmer für Ferien auf dem Bauernhof einzurichten.
Was aus den Tausenden von Biogasanlagen wird, die sich bald nicht mehr lohnen, steht auf einem anderen Blatt. Üblicherweise haben die Betreiber eine Rückbauverpflichtung unterschrieben. Für eine durchschnittliche Anlage wären dann mehr als 3000 Tonnen Beton zu entsorgen. Macht bei 8000 Anlagen 24 Millionen Tonnen Beton. Für die Berliner Mauer, noch so ein Vergleich, um die Dimensionen der Angelegenheit zu verdeutlichen, war ein Hundertstel davon nötig.