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Lebensversicherer : Versagen in der Altersvorsorge

Was ist das Versprechen einer Lebensversicherung künftig noch wert? Bild: dpa

Der Niedrigzins drückt die Erträge der großen Lebensversicherer. Alternative Einkommensquellen müssen her. Doch das Vorgehen, die Versicherungsportfolios zu veräußern, ist äußerst fragwürdig.

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          Die Lebensversicherung ist nach deutschem Verständnis ein Versprechen auf Lebenszeit. Der Verbraucher verpflichtet sich, bis zum Rentenalter regelmäßig seine Beiträge abzuführen. Dafür gibt ihm der Versicherer die Zusage, das Geld zu verzinsen und dem Versicherten bis zum Lebensende eine monatliche Rente auszuzahlen. Für Millionen Deutsche ist dieses Versprechen ein wichtiger Teil der Altersvorsorge, von der sie sich den Erhalt des Lebensstandards erhoffen.

          Philipp Krohn
          Redakteur in der Wirtschaft, zuständig für „Menschen und Wirtschaft“.

          Derzeit stellen viele Versicherungsunternehmen jedoch das Neugeschäft mit traditionellen Lebensversicherungen ein, die eine Zinsgarantie beinhalten. Der Niedrigzins drückt ihre Erträge, durch das neue Aufsichtsrecht Solvency II müssen sie hohe Eigenmittel bereitstellen, um die Garantien aufrechtzuerhalten. Stellt ein Anbieter das Neugeschäft ein, wandern die alten Verträge in den sogenannten „Run-off“. Das heißt, sie werden weiterhin bedient, aber der Versicherer entzieht sich dem Wettbewerb um neue Kunden. Daher fallen keine neuen Abschlusskosten an, aber es gibt auch keinen Anreiz mehr, kundenfreundlich zu sein.

          Das Geschäft mit den Run-off-Portfolios

          Manche Versicherer gehen sogar noch einen Schritt weiter. Um Eigenmittel für andere Geschäftszweige freizubekommen, veräußern sie ihre Run-off-Portfolios an spezialisierte Abwicklungsgesellschaften, hinter denen ausländische Investoren stecken. Deren Ziel ist es, über eine Optimierung der Kosten aus diesen Lebensversicherungsverträgen genügend Erträge zu ziehen, um ihren Eigentümern eine attraktive Rendite zu bieten. Nachdem anfangs nur kleine Versicherer wie Skandia, Arag oder Basler ihre Bestände auf solche Spezialisten übertragen haben, erwägen nun mit der Generali und der Ergo zwei Marktteilnehmer die Trennung von ihren Lebensversicherungen, die Millionen Verträge verkauft haben. Die Aufregung ist nicht nur in den Belegschaften groß, sondern auch unter den Kunden, obwohl die Finanzaufsicht Bafin streng auf die Kundenbelange achtet.

          Das Vorgehen der Versicherer ist legal. Versicherungen sind handelbare Produkte. Auch wenn Anbieter und Kunde eine lebenslange Beziehung geschlossen haben, gibt es für beide Seiten eine Ausstiegsmöglichkeit. Der Verbraucher kann die Police zurückgeben und erhält dafür einen Rückkaufswert, der durch Rechtsprechung und Gesetzgebung heute attraktiver als früher ist. Überdies ist ein Zweitmarkt für Lebensversicherungen entstanden. Hier kann der Kunde seine Police an einen Investor veräußern, der sie ebenfalls optimiert und daraus eine höhere Rendite erzielt.

          Wenn man also von der Lebensversicherung als einem Vertrauensprodukt spricht, so hat das angesichts von Hunderttausenden gekündigten oder weitergereichten Verträgen einen etwas pathetischen Charakter. Am Ende geht es beiden Vertragspartnern darum, ihren Nutzen zu optimieren: Der Kunde will die bestmögliche Auszahlung erzielen, der Versicherer will aus Zinsen, Risiko- und Kostenkalkulation einen eigenen Gewinn erwirtschaften.

          Lebensversicherer spielen mit Kundenvertrauen

          Dennoch ist das Vorgehen der großen Lebensversicherer, ihre Portfolios womöglich an chinesische oder britische Investoren zu veräußern, äußerst fragwürdig. Das hat mit dem Vertrauen zu tun, das in sie gesetzt wurde. Anfang des Jahrtausends war die Lage der deutschen Sozialversicherungen prekär: Die Arbeitslosigkeit war hoch, so dass die Einnahmen fielen, gleichzeitig wurde immer klarer sichtbar, dass das Umlagesystem durch den demographischen Wandel in Schwierigkeiten geraten würde. Die Versicherer boten sich damals als Partner der Politik an und waren zu einem Paradigmenwechsel in der eigenen Branche bereit. Hatten sie zuvor Produkte mit einem Horizont von höchstens drei Jahrzehnten angeboten, waren auf einmal Policen gefragt, die bis zum Lebensende zahlen. Als die Politik die Versicherer fragte, ob sie das könnten, prahlten sie vollmundig: kein Problem. Als die Politik sie fragte, ob diese Aussage durch alle Zinstäler Bestand haben würde, krempelten sie die Ärmel hoch, zeigten auf ihre Muskeln und sagten: kein Problem. Daraufhin entschloss sich die Regierung dazu, die Leistungen der gesetzlichen Rente längerfristig abzuschmelzen, um das Umlagesystem finanzierbar zu halten.

          Es sind dieselben Unternehmen, die nun darüber entscheiden, ob sie sich aus diesem Versprechen zurückziehen. Es sind nicht allein börsennotierte Versicherer, keine Rechtsform ist besser als die andere. Mit der Arag hat eines der wenigen Familienunternehmen der Branche, denen man gewöhnlich eine langfristige Strategie unterstellt, seinen Lebensversicherungsbestand schon vor einiger Zeit veräußert. Das mag aus betriebswirtschaftlicher Sicht die beste, womöglich sogar eine existenzsichernde Entscheidung gewesen sein. Doch bleibt ein schaler Geschmack: Vertriebe vom Schlage Pohl und Maschmeyer haben Millionen verdient, Versicherungsmanager jahrelang überdurchschnittliche Gehälter bekommen, Politiker und Kunden an den langen Atem von Versicherern geglaubt. Und wenn es ungemütlich wird, ziehen sich diese Unternehmen zurück und lassen ihre Versprechen andere erfüllen.

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