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Wachstum im dritten Quartal : Warum die Wirtschaftsleistung doch wieder zulegt

Der Außenhandel läuft wieder besser. Bild: AP

Die Rezession ist vorläufig abgesagt – und die Prognosen vieler Ökonomen lagen wieder mal knapp daneben. Doch Entwarnung wäre verkehrt. Das liegt auch daran, dass die deutsche Wirtschaft an Wettbewerbsfähigkeit verliert.

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          Brexit-Chaos, Handelsstreit, politische Unruhen in Hongkong, am persischen Golf und im hochverschuldeten Italien – viele Faktoren trugen in den vergangenen Monaten dazu bei, dass der Welthandel erlahmte und die exportorientierte deutsche Wirtschaft empfindliche Geschäftseinbußen erlitt. Seit anderthalb Jahren befand sich die Nachfrage nach Industriegütern im Sinkflug. Die Exporte traten auf der Stelle, und gerade in der Autoindustrie gehen seit einiger Zeit Konjunkturflaute und Strukturwandel Hand in Hand.

          Niklas Záboji
          Wirtschaftskorrespondent in Paris

          Dauerhaft befriedet konnten die genannten Unruheherde bislang nicht. Weil sie aber etwas an Bedeutung verloren haben, zeigte die deutsche Wirtschaft zuletzt leichte Erholungstendenzen. Die Industrieaufträge zogen wieder an, die Geschäftserwartungen laut Ifo-Befragung stabilisierten sich im September wie im Oktober. Auch der Außenhandel vermeldete wieder bessere Zahlen. All das dürfte Grund dafür gewesen sein, dass sich der Rückgang der Wirtschaftsleistung von minus 0,2 Prozent im zweiten Quartal nicht fortgesetzt hat – und nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamts im dritten Quartal sogar ein Plus von 0,1 Prozent zu Buche schlägt. Das am Donnerstag von der europäischen Statistikbehörde Eurostat  bestätigte Wachstum im Euroraum war mit 0,2 Prozent noch ein wenig, aber nur minimal höher als allseits erwartet. 

          Die Prognosen vieler Ökonomen lagen damit wieder einmal knapp daneben. Das Berliner DIW etwa hatte einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und ein Abgleiten in die sogenannte technische Rezession erwartet. „Die positive BIP-Rate ist etwas überraschend – die uns vorliegenden Indikatoren haben eher eine rote Null oder einen negativen Wert signalisiert“, sagte DIW-Konjunkturchef Claus Michelsen der F.A.Z. Die Exporte im September seien stark ausgefallen. Unerwartet stark scheine sich aber vor allem der private Konsum entwickelt zu haben. Auch die Bauproduktion habe ihren Trend fortgesetzt.

          „Auf dem Teppich bleiben“

          Tatsächlich ist die Zweiteilung der deutschen Wirtschaft nach wie vor Grund, dass Verbraucher den Abschwung bislang allenfalls am Rande wahrgenommen haben: Während das verarbeitende Gewerbe spürbar kriselt, halten sich Arbeitsmarkt und sämtliche Nicht-Industriezweige ausgesprochen stabil. Der befürchtete Abwärtssog blieb bislang aus. Stellenabbau hat Seltenheitswert und ist eher dem Strukturwandel geschuldet, siehe Autozulieferer. Das stützt den Konsum. „Wir haben keine Rezession im Sinne eines breiten, tiefer gehenden Rückgangs der Wertschöpfung“, sagte deshalb Volker Wieland, Frankfurter Ökonom und einer der fünf „Wirtschaftsweisen“, vergangene Woche im Gespräch mit der F.A.Z.

          Während sich die Industrie tatsächlich in einer Rezession befinde, laufe der Dienstleistungssektor, der auch vom Konsum getragen wird, nach wie vor gut. Allerdings sei unklar, ob diese Zweiteilung dauerhaft möglich ist, so Wieland. Mit anderen Worten: Auch wenn die Abwärtsspirale aus Industrieschwäche, Entlassungen und Konsumeinbruch bislang ausblieb und mit den soliden BIP-Zahlen wieder etwas unwahrscheinlicher geworden, ist Entwarnung mit Blick auf strukturelle Herausforderungen, vor allem aber weiter schwelende Risiken in der Außenwirtschaft verkehrt. „Auf dem Teppich bleiben“, kommentierte in diesem Sinne Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.

          In der Tat erstaunlich

          Zum einen habe die seit Jahren zu beobachtende Erosion der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands begonnen, sich negativ in den harten Daten niederzuschlagen. „Zum anderen bleibt die Unsicherheit über die Zukunft des Welthandels selbst dann hoch, wenn sich die Präsidenten Trump und Xi auf einen Handelsvertrag einigen“, so Krämer. „Rezession hin oder her, die deutsche Wirtschaft ist in eine de facto Stagnation gefallen“, meint auch Carsten Brzeski von der ING Bank.

          Infografik F.A.Z.-Konjunkturbericht Deutschland
          Vergrößern

          Selbst die Ökonomen vom Kieler Institut für Weltwirtschaft, die mit ihrer jüngsten Prognosen noch am besten lagen, sprechen unverändert von einem „Stottern“ der deutschen Wirtschaft. Trotz des leichten BIP-Anstiegs zeichne sich noch keine durchgreifende Belebung ab. „Mit Blick auf die Kapazitätsauslastung bleibt die deutsche Konjunktur somit weiterhin im Abklingbecken“, teilte IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths mit. Dass die Ansteckungseffekte der Industrierezession auf die konsumnahen Bereiche bislang nur milde ausfallen, sei in der Tat erstaunlich. 

          Allerdings halte der Staat mit fiskalischen Maßnahmen schon seit einiger Zeit kräftig dagegen halte, vom robusten Arbeitsmarkt und der privaten Ausgabenfreude mal ganz abgesehen. Die staatlichen Investitionsausgaben seien so hoch wie zuletzt Mitte der 1990er Jahre, auch die Staatsausgabenquote steige und steige. „Eigentlich müssten Keynesianer voll auf ihre Kosten kommen“, sagt Kooths mit Blick auf die Forderung vieler Ökonomen und des Internationalen Währungsfonds, wonach der deutsche Staat dringend mehr Geld ausgeben müsste, um die Wachstumsdynamik zu beleben.

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