Konjunktur in Europa : Polen als Insel im Osten
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In der Innenstadt von Warschau Bild: Röth, Frank
Polens Wirtschaft zeigt sich robust. In der Krise 2009 galt es als grüne Insel im Meer roter Zahlen. Doch das Land steht vor einer Reihe hoher Hürden.
Es ist fast genau zwei Jahre her, da präsentierte sich der polnische Ministerpräsident Donald Tusk vor einer großen Europa-Karte, die den Kontinent in tiefes Rot getaucht zeigte - mit einer Ausnahme. Während der Rest von Europa 2009 mit einer schweren Rezession kämpfte, wuchs die polnische Wirtschaft auch nach dem Lehman-Kollaps noch um 1,7Prozent, und Tusk sprach von seinem Land als „grüner Insel“. Polen war Spitze in Europa, eine völlig neue Rolle für das größte der neuen EU-Mitglieder aus Mittel- und Osteuropa, das bis dahin eher als Sorgenkind der Union galt.
Noch bemerkenswerter ist, dass Polen den Spitzenplatz behauptet. Während der Mittelmeerraum auf erdrückende Staatsschulden mit rigorosen Sparpaketen reagieren und damit die Wirtschaftsleistung abwürgen muss, meldeten die Statistiker aus Warschau ein Wachstum im dritten Quartal von stolzen 4,2 Prozent. Trotz der erwarteten Abkühlung im Schlussquartal dürfte für das Gesamtjahr ein Plus von etwa 4 Prozent stehen. Für 2012 rechnet die Regierung immer noch mit 2,5 Prozent - ein Wert, von dem die meisten Länder Europas nur träumen können. Doch auch in Polen ist der Aufschwung kein Selbstläufer. Es gibt Risiken, die den wirtschaftlichen Aufstieg bedrohen.
Ohne Konjunkturprogramm durch die Krise
Ein Grund für den polnischen Sonderweg sind die Milliardenhilfen der Europäischen Union. Rund 68 Milliarden Euro fließen bei entsprechender Kofinanzierung bis 2014 aus den Brüsseler Fördertöpfen ins Land für den Bau von Brücken, Straßen oder Bahnstrecken. Selbst im Krisenjahr 2009 konnte Polen wegen der EU-Mittel auf ein nationales Konjunkturprogramm verzichten. Die 16 Milliarden Euro befeuerten damals einen Bauboom in dem Land, das sich auf die Koaususrichtung der Fußball-Europameisterschaft 2012 vorbereitet. Erst dieses Großereignis sorgt dafür, dass der in hohem Maß auf ausländische Investoren angewiesene Transitstaat zwanzig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs endlich eine moderne und wettbewerbsfähige Infrastruktur erhält.
Doch bleibt die Frage, wie sich die (Bau-)Konjunktur entwickelt, wenn im Sommer der Europameister gekürt sein wird. Ein Rückgang scheint unvermeidlich. Außerdem wird im kommenden Jahr in der Union der Finanzrahmen bis 2020 abgesteckt. Derzeit kämpft Polen zusammen mit anderen Nehmerländern darum, abermals ein ordentliches Stück vom Brüsseler Kuchen zu ergattern. Womöglich gereicht dem Land jedoch sein eigener wirtschaftlicher Erfolg zum Nachteil.
Polens Einstieg in Atomenergie gefährdet
Ein anderes Fragezeichen steht hinter dem Bankensystem. Die großen Institute gelten als gesund, gehören jedoch in der Mehrheit ausländischen Mutterkonzernen. Nun ist die Angst groß, dass diese meist maroden Banken in Wien, Mailand oder Frankfurt den Geldhahn zudrehen und die polnischen Unternehmen durch eine Kreditverknappung in ihrer Entwicklung ausgebremst werden. Es mehren sich die Stimmen, die eine Renationalisierung der polnischen Geldhäuser fordern, etwa wenn im Falle einer Zerschlagung der Commerzbank der Ableger BRE zum Verkauf stünde.
Die europäische Bankenkrise könnte auch Polens Einstieg in die Atomenergie gefährden. Noch immer stammen mehr als 90 Prozent aus eigener Kohle, wodurch Dauerkonflikte mit der Brüsseler Energie- und Klimapolitik programmiert sind. Um die Klimaziele zu erreichen, aber gleichzeitig eine Abhängigkeit von russischem Gas zu verhindern, will Warschau nun ungeachtet jeglicher Kritik zwei Atomkraftwerke bauen lassen. Mittlerweile tauchen jedoch schon Zweifel an der Finanzierung der Projekte an der Ostsee auf. Andere realistische Möglichkeiten der Energieerzeugung lassen sich nur schwer finden. Zwar sitzt das Land auf Europas größten Schiefergasreserven, doch deren Exploration ist aufwendig, kostspielig und mit Umweltrisiken verbunden. Der angepeilte Förderstart 2014 gilt als ehrgeizig.
Mehrheit lehnt den Euro ab
Ein Jahr später wollen die Polen dem Euro beitreten, wie Tusk gerade bekräftigt hat. Ein bemerkenswertes Bekenntnis zu einem Zeitpunkt, da drei Viertel seiner Landsleute die Gemeinschaftswährung ablehnen. Polen, das schon seit den neunziger Jahren eine Schuldenbremse in der Verfassung kennt, sieht sich in der Tradition einer nordeuropäischen Stabilitätskultur. Tusk will schon 2012 den Haushalt konsolidieren und das Defizit auf unter 3 Prozent drücken. Dazu hat er kurz nach seiner Wiederwahl ebenso wichtige wie unpopuläre Reformen wie die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre eingeleitet, die deutlich machen, dass er es ernst meint.
Es muss sich jedoch erst noch zeigen, ob die eingeplante Verdopplung der Dividenden von Staatsbetrieben die erhofften Milliarden auch wirklich sprudeln lässt. In Polen sitzt jedoch noch aus der vergangenen Krise die Erfahrung tief, dass die eigene Währung zwar den Spielraum durch Abwertung kurzfristig erweitert, ein volatiler Zloty jedoch die Absicherungskosten für Unternehmen in die Höhe treibt.
Es ist letztlich der politische Gestaltungswille, gepaart mit einer soliden Haushalts- und Finanzpolitik, der trotz aller Risiken Grund zur Annahme gibt, dass die polnische Erfolgsgeschichte noch nicht zu Ende ist.