
Kommentar : Monti analysiert Europa
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Eine nationale Regierung müsse ihr Parlament „erziehen“, findet Mario Monti. Bild: dapd
Italiens Ministerpräsident want vor einer psychologischen Auflösung Europas. Das wiegt schwer. Aber sein Verständnis von Demokratie ist merkwürdig.
Mario Monti ist ein nüchterner, präzise analysierender Politiker. Wenn er von einer „psychologischen Auflösung Europas“ spricht und den Euro als „Faktor des europäischen Auseinanderdriftens“ bezeichnet, dann wiegt das weit schwerer als notorische CSU-Forderungen zum Austritt Griechenlands aus der Währungsunion. Monti spricht aus, was seine Kollegen verdrängen oder nicht laut sagen wollen: Der Euro ist längst nicht mehr das Schmiermittel der politischen Integration, er ist im Gegenteil zum Spaltpilz geworden.
Verwunderlich sind freilich die Rezepte, die Monti zur Krisenüberwindung anbietet. Das beginnt mit seiner Forderung, die Kommunikation nach Entscheidungen der Eurozone müsse verbessert werden. Diese Forderung richtet sich zuallererst an ihn selbst: Er war in der Nacht des Euro-Gipfels im Juni der einzige, der gegen die Abmachung verstieß, dass ausschließlich Ratspräsident Herman Van Rompuy die Entscheidungen der Öffentlichkeit erläutern solle. Montis exklusive Interpretation der Gipfelergebnisse war ein Hauptgrund für die tags darauf entstandene Verwirrung.
Weit grundsätzlichere Fragen wirft seine Behauptung auf, eine nationale Regierung müsse ihr Parlament „erziehen“. Das verrät, vorsichtig ausgedrückt, ein merkwürdiges Verständnis von Demokratie. Wahrscheinlich stimmt sogar die damit verknüpfte Aussage, dass das Auseinanderbrechen Europas wahrscheinlicher werde, wenn sich Regierungen vollständig durch die Entscheidungen ihrer Parlamente binden ließen. Was aber folgt daraus? Europa bleibt nur bestehen, wenn die nationalen Parlamente möglichst nichts zu sagen haben? Das Bundesverfassungsgericht, das gerade über den Rettungsschirm ESM berät, wird derlei mit Interesse zur Kenntnis nehmen.
Das Grunddilemma besteht gerade darin, dass Monti im Kern recht hat. Wer den Euro um jeden Preis retten will, nimmt den Kollateralschaden einer Entmündigung der nationalen Parlamente in Kauf. Sigmar Gabriels neue Europa-Berater um Jürgen Habermas liegen insoweit richtig: Es gibt nur zwei in sich stimmige Strategien zur Krisenüberwindung - die Rückkehr zu nationalen Währungen oder die politische Union, deren demokratische Legitimation sich nicht mehr von nationalen, sondern von europäischen Institutionen herleitet. Habermas & Co. sind die Antwort schuldig geblieben, wie der von ihnen geforderte Verfassungskonvent eine derart legitimierte politische Union herbeizaubern könnte. Für die Zukunft des Euro verheißt das nichts Gutes.