Nach Urteil zu Anleihenkäufe : Ifo-Chef Sinn kritisiert EuGH
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„Ein bedauerlicher Fehler des Gerichts“: Hans-Werner Sinn Bild: dpa
Darf die EZB Anleihen von Euro-Krisenländern kaufen? Ja, sagt der Europäische Gerichtshof. Der Ökonom Hans-Werner Sinn sieht in dem Urteil einen „bedauerlichen Fehler des Gerichts“. CSU-Politiker Peter Gauweiler spricht sogar von einer „Kriegserklärung“.
Ifo-Chef Hans-Werner Sinn hat die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank scharf kritisiert. „Das ist ein bedauerlicher Fehler des Gerichts“, sagte Sinn am Dienstag in München. Anders als vom Gericht dargestellt, überschreite die EZB sehr wohl ihre Kompetenzen und betreibe Wirtschaftspolitik. Der Ökonom bezeichnete die Argumentation des Gerichts als nicht nachvollziehbar und appellierte an das Bundesverfassungsgericht, sich bei der nun anstehenden Entscheidung „nicht beirren“ zu lassen. Auch sein designierter Nachfolger Clemens Fuest, bislang noch Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, kritisiert die Entscheidung in harschen Worten: „Der EuGH irrt sich“, sagte Fuest. Das Anleihekaufprogramm sei ein Rettungsprogramm der EZB für die hoch verschuldeten Peripheriestaaten. „Das ist Fiskalpolitik und keine Geldpolitik", sagte der Mannheimer Ökonom.
Der CSU-Politiker Peter Gauweiler, der gegen die Staatsanleihen geklagt hatte, spricht sogar von einer „Kriegserklärung“ des Europäischen Gerichtshofs an das Bundesverfassungsgericht. Das Ja der Luxemburger Richter sei ein „schweres Fehlurteil“. Die Richter hätten die Bedenken des Bundesverfassungsgerichts einfach beiseite gewischt. Das Urteil sei ein Freibrief für die Umverteilung von Haushaltsrisiken unter den EU-Staaten in Höhe von Hunderten Milliarden Euro, kritisierte Gauweiler.
Der EuGH hatte am Dienstag entschieden, dass die EZB zur Euro-Rettung grundsätzlich Staatsanleihen kaufen darf. Ein entsprechendes Programm der Notenbank von 2012 sei rechtmäßig, urteilten die Richter.
Das EZB-Verfahren
Worum dreht sich das Verfahren?
Wie lautet die zentrale Frage?
Und warum sind Staatsanleihekäufe durch die EZB so umstritten?
Was sagt das Bundesverfassungsgericht dazu?
Was bedeutet das Urteil für das laufende QE-Kaufprogramm?
Konkret ging es um den EZB-Beschluss aus dem Sommer 2012, unter Bedingungen notfalls unbegrenzt Anleihen von Euro-Krisenstaaten zu kaufen, um diese zahlungsfähig zu halten. Das Kaufprogramm war unter dem Namen „Outright Monetary Transactions“ (kurz: OMT) bekannt geworden. Die Richter sehen das Staatsanleihekaufprogramm vom geldpolitischen Mandat der EZB gedeckt. Sie sehen auch keinen Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Eine gewisse zeitliche Distanz zwischen Schuldenemission und Ankauf durch die EZB reicht nach Ansicht des Gerichts aus.
Die Kläger hoffen nun wieder auf das Bundesverfassungsgericht: „Das Bundesverfassungsgericht hat die Möglichkeit zu sagen, dass bestimmte Dinge mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind, selbst wenn sie mit Europarecht vereinbar sein sollten“, sagte der Linke-Fraktionschef im Bundestag, Gregor Gysi, in Luxemburg nach dem Urteil. Seine Fraktion gehört auch zu den Klägern.
Die Karlsruher Richter waren 2014 zu dem Schluss gekommen, die EZB habe mit dem Anleihenkaufprogramm OMT von 2012 ihre Kompetenzen überschritten. Die Richter baten den Europäischen Gerichtshof um Klärung. Dieser hält Anleihenkäufe nun aber für rechtens. Nun muss das Verfassungsgericht auf Grundlage des Luxemburger Urteils eine eigene Entscheidung treffen, ein Termin steht noch nicht fest.
Lucke: Das Urteil ist eine Provokation
AfD-Bundessprecher Bernd Lucke sieht einen massiven Konflikt zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof: „Das Bundesverfassungsgericht hat explizit gesagt, dass der sogenannte OMT-Beschluss der EZB nicht vom Mandat der EZB gedeckt sein dürfte", erinnerte Lucke. „Das steht unmittelbar im Widerspruch zum heutigen Urteil des EuGH. Um es noch deutlicher zu sagen: Das Urteil des EuGH ist eine Provokation und Demütigung des Bundesverfassungsgerichts. Dessen Rechtsauffassung wird vom Tisch gewischt, als sei sie eine untaugliche Lehrlingsarbeit."
Die Bundesregierung hat das Urteil des Europäischen Gerichtshofes positiv aufgenommen. Das Bundesfinanzministerium begrüße, „dass der EuGH in diesem Verfahren wichtige Fragen zur Reichweite des geldpolitischen Mandats der EZB und zu seinen Grenzen geklärt hat", sagte eine Ministeriumssprecherin am Dienstag. DIW-Präsident Marcel Fratzscher widersprach den Ökonomen Sinn und Fuest: Das Urteil sei ein „überwältigender Erfolg für die EZB“, sagte Fratzscher: „Die Entscheidung bedeutet einen großen Vertrauensbeweis in die EZB als Institution“. Das Urteil gebe der Zentralbank „umfassende Freiheiten auf Krisensituationen auch in Zukunft schnell und flexibel reagieren zu können“.
Die EZB erklärte in einer ersten Reaktion auf das Urteil lediglich, sie begrüße die Entscheidung und werde das Urteil nun analysieren. Der Beschluss der EZB im Sommer 2012 hatte insbesondere in Deutschland heftige Kritik und Klagen von über 35.000 Bürgern ausgelöst. Sie werfen den Währungshütern vor, ihr Mandat zu überziehen.