Vor Schäuble-Besuch : Ökonomen erwarten Schuldenschnitt für Griechenland
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Aus dem Sparen kommt Griechenland noch nicht raus. Dieser Tage streiken die Griechen wieder gegen Kürzungen. Bild: dpa
Am Donnerstag besucht Finanzminister Schäuble Griechenland. Wie geht es weiter mit seiner Schuldenkrise? Prominente Ökonomen erwarten einen Schuldenschnitt.
Entgegen den bisherigen Dementis der Bundesregierung sehen immer mehr Ökonomen einen Schuldenschnitt für Griechenland kommen. „Ich halte einen weiteren Schuldenschnitt für unabwendbar“, erklärt etwa der Finanzwissenschaftler Jörg Rocholl, Präsident der ESMT-Hochschule in Berlin, der als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums auch Wolfgang Schäuble berät.
Kurz vor Schäubles Besuch in Athen sagte Rocholl der F.A.Z.: „Es wird einen beträchtlichen Schnitt geben, denn die Schuldentragfähigkeit der Griechen ist nicht gegeben.“ In diesem Jahr wird Griechenlands Staatsschuldenquote wegen der fortgesetzten Rezession und dem laufenden Defizit auf etwa 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Ziel der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalen Währungsfonds (IWF) ist es, die Schuldenquote bis 2022 auf 110 Prozent zu drücken. Viele Ökonomen halten dies für illusorisch.
Der neue Schuldenschnitt würde vor allem die öffentlichen Gläubiger und damit die europäischen Steuerzahler treffen müssen, sagte Rocholl. „Es handelt sich um einen deutlichen Milliardenbetrag“, erwartet er. Beim ersten Schuldenschnitt im März 2012 waren private Gläubiger betroffen gewesen und hatten einen zweistelligen Milliarden-Betrag aufgeben müssen.
Euro-Staaten sind Griechenlands wichtigste Gläubiger
Inzwischen halten öffentliche Gläubiger das Gros der Forderungen gegen Griechenland in Höhe von mehr als 220 Milliarden Euro, darunter die Euro-Länder 161 Milliarden Euro, die EZB 45 Milliarden Euro und der IWF 22 Milliarden Euro, wie das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) in einer aktuellen Studie darstellt. Auch das IfW hält einen Schuldenschnitt für unausweichlich. „Griechenlands Verschuldung hat ein Niveau erreicht, das eine Sanierung der Staatsfinanzen ohne Hilfe von außen unmöglich macht, das ist nicht zu schaffen“, sagte der IfW-Ökonom Henning Klodt dieser Zeitung.
Allerdings werde die Frage des Schuldenschnitts noch bis zur deutschen Bundestagswahl verschoben, sagte Rocholl. „Das spielt eine Rolle. Denn mit dem Schnitt wird den Bürgern zum ersten Mal offensichtlich, dass der Steuerzahler mit hohen Verlusten betroffen ist und nicht nur Kredite an Griechenland vergeben werden, die zurückgezahlt werden, wie es bislang immer hieß“, sagte Rocholl.
Ähnlich sieht es der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider. „Dieses Mal werden es aber keine neuen Kredite sein, sondern ein Schuldenerlass mit unmittelbaren Verlusten für den Bundeshaushalt“, sagte er dem Magazin „Focus“.
Schäuble und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben bis zuletzt einen Schuldenschnitt abgelehnt. „Der Schuldenschnitt war eine einmalige Veranstaltung“, sagte Schäuble der „Bild“-Zeitung. Auch der Vorsitzende der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem, unterstrich vergangene Woche: „Wir wollen unser Geld zurückhaben.“ Doch Ökonomen zweifeln, ob Athen die riesige Schuldenlast dauerhaft bedienen wird können. „Die Dementis der Deutschen, auch der Kanzlerin, zum Schuldenschnitt klingen aber inzwischen nur noch halbherzig“, meinte Rocholl. Er mahnte an, die zu erwartenden Ausfälle schon jetzt in der mittelfristigen Haushaltsplanung zu berücksichtigen. „Man sollte diese Risiken ehrlich und offen nennen“, forderte der Ökonom, der zu den Befürwortern der Euro-Rettung zählt.
Debatte über Euro-Austritte
Vor einigen Wochen hatte Rocholl mit vier anderen bekannten Wissenschaftlern vor den Vorschlägen der eurokritischen Partei „Alternative für Deutschland“ zur geordneten Auflösung des Euro-Währungsgebiets durch einen Austritt der angeschlagenen Südländer gewarnt. Der stellvertretende AfD-Bundessprecher Alexander Gauland beklagte unterdessen am Dienstag, durch die Eurorettung würden nun „wieder die Spannungen aus der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte“ belebt. Athener Medien hatten im Vorfeld von Schäubles Besuch nach Reparationsforderungen gegen Deutschland wegen des Zweiten Weltkriegs gerufen.