Griechenland-Krise : Ein Schuldenschnitt ist gar nicht so einfach
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Die Griechen (hier: Abgeordnete im Parlament in Straßburg) haben „Nein“ gesagt: Doch wird dadurch ein Schuldenschnitt wahrscheinlicher? Bild: Reuters
Auf dem Euro-Gipfel sind Griechenlands Schulden das wichtigste Thema. Doch die Gläubiger wollen erst ernsthafte Reformen sehen, bevor sie dem Land Schulden erlassen. Selbst bei gutem Willen wäre ein Schuldenschnitt allein aus praktischen Gründen schon schwierig.
Giannis Varoufakis muss die Frage nun nicht mehr beantworten, wie er seine Ankündigung der vergangenen Woche gemeint hat. Nach dem griechischen Referendum könne es binnen einer Stunde eine Einigung zwischen Athen und seinen Gläubigern geben, behauptete der griechische Finanzminister noch am Wochenende.
Nun ist er zurückgetreten, und das Gesprächsklima in der Eurogruppe wird damit zumindest nicht noch schlechter werden. Von der schnellen Einigung mit den Kreditgebern ist Griechenland freilich mindestens so weit entfernt wie vor zehn Tagen.
F.A.Z.-Korrespondent in Athen : Tsipras vor Konfrontation mit eigener Partei
Das hat nicht nur den formalen Grund, dass die griechischen Wähler über Vorschläge der Gläubiger abgestimmt haben, die gar nicht mehr auf dem Tisch lagen. Auch inhaltlich reden beide Seiten seit Februar aneinander vorbei, und wenig spricht dafür, dass sich das schnell ändert. Die Gläubiger forderten von Athen, sich auf Spar- und Reformmaßnahmen einzulassen. Dagegen forderte Griechenland immer wieder einen Schuldenerlass.
Verdeckter Schuldenschnitt
Hätte sich die griechische Regierung verpflichtet, die von den Gläubigern geforderten Reformen in die Tat umzusetzen, hätten diese wohl auch allgemein zugesichert, die Tragfähigkeit der griechischen Staatsschuld sicherzustellen. Konkreter wären sie kaum geworden – denn keine Regierung will sich mit den Auswirkungen eines Schuldenschnitts auf ihren Staatshaushalt auseinandersetzen.
Ergänzt worden wäre die allgemeine Zusicherung durch den Hinweis, dass die Eurogruppe schon beim Schuldenschnitt im November 2012 zugesichert hatte, sie werde unter bestimmten Voraussetzungen weitere „Schuldenmaßnahmen“ in Erwägung ziehen.
Schon jetzt hat Griechenland den Vorteil, dass es die Kredite aus dem ersten Hilfsprogramm – es umfasst bilaterale Kredite der Eurostaaten – erst von 2020 an zurückzahlen muss, jene aus dem zweiten Programm, die der EFSF finanziert, erst von 2023 an. Zugleich wurde die Laufzeit der Kredite um durchschnittlich 15 auf durchschnittlich 30 Jahre angehoben. Weil das Land dadurch Milliarden Euro gespart hat, lassen sich diese Erleichterungen als „verdeckter“ Schuldenschnitt interpretieren.
Deckung der Interessen
Wegen des faktischen Moratoriums der Eurostaaten und der langen Kreditlaufzeiten ist die griechische Schuldentragfähigkeit mit Blick auf die EFSF-Kredite kein wirkliches Problem. Die Zusage weiterer „Schuldenmaßnahmen“ könnte nur darin bestehen, noch einmal Laufzeiten zu verlängern.
Nach dem griechischen Nein hat Tsipras indes abermals Verhandlungen über einen partiellen Schuldenerlass gefordert – nicht zuletzt mit dem Argument, dass er dafür ein Mandat des griechischen Volkes habe. Er beruft sich dabei auch auf den Internationalen Währungsfonds (IWF). Der hatte die Eurostaaten in der vergangenen Woche aufgefordert, weitere Schuldenerleichterungen für Athen zuzusagen – ohne eine solche Zusage müsste der IWF sein bis Anfang 2016 laufendes Programm ohnehin abbrechen.
Konkret forderte der Fonds eine abermalige Verschiebung der Fälligkeiten. Generell will der IWF erreichen, dass sämtliche Risiken, die aus der griechischen Überschuldung resultieren, von den Eurostaaten und deren Krisenfonds ESM getragen werden – dass die europäische Seite also einspringt, sollte es zu weiteren Zahlungsausfällen kommen. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) dringt mehr oder weniger explizit darauf, dass ihre Verpflichtungen gegenüber dem griechischen Staat vom ESM übernommen werden – insofern decken sich auch die EZB-Interessen mit den griechischen.
Schlechte Position für Tsipras
Am 20. Juli und am 20. August werden griechische Staatsanleihen von 3,6 und 3,2 Milliarden Euro fällig, die aus dem EZB-Aufkaufprogramm SMP stammen. Es ist derzeit kaum vorstellbar, dass Griechenland diese Anleihen ablösen kann. Athen hat immer wieder ins Spiel gebracht, dass sie auf den ESM übertragen werden. Das ist aus dem simplen Grund unrealistisch, weil der ESM-Vertrag eine solche Übertragung verbietet.
Vorstellbar wäre theoretisch nur, dass Athen bis dahin ein neues, drittes Kreditprogramm mit den Gläubigern aushandelt – gegen ebenjene Auflagen, die das griechische Volk jetzt abgelehnt hat. Dieses Programm könnte theoretisch auch Geld enthalten, mit dem der griechische Staat die SMP-Anleihen und die anderen in nächster Zeit fälligen Kredite ablösen könnte. Ob der von Tsipras in der vergangenen Woche ins Spiel gebrachte Betrag von 29 Milliarden Euro ausreichte, ist fraglich – aber auch ziemlich irrelevant.
Denn auch wenn Tsipras den Eindruck vermittelt, er habe nach dem Referendum bessere Karten als vorher: Die griechische Seite bleibt in einer schlechten Verhandlungsposition – nicht nur, weil die Bundesregierung einen Schuldenschnitt bis auf weiteres ausschließt.
Mandat für neue Verhandlungen
Selbst in dem Fall, dass die Eurostaaten politisch gewillt wären, Athen so etwas wie einen Referendumsrabatt zu gewähren, kämen sie um ein neues Programm nicht herum. Und ob dieses durch den ESM-Vertrag überhaupt gedeckt wäre, ist zumindest fraglich.
Der fordert nämlich als Voraussetzung für ein solches Programm, dass es zur Wahrung der Finanzstabilität des Euroraums oder seiner Mitgliedstaaten unabdingbar und dass es mit Reformauflagen zu verknüpfen sei. Selbst wenn die Eurostaaten Athen sehr weit entgegenkommen wollten, wäre ein neues Programm kaum noch vor dem 20. Juli zu schaffen.
Denn zunächst müssten die nationalen Parlamente den Institutionen ein Mandat zur Aufnahme neuer Verhandlungen mit Athen erteilen. Die dann folgenden Verhandlungen wären von all jenen Konflikten geprägt, die seit Februar eine Einigung unmöglich gemacht hätten. Und selbst wenn diese Einigung gelänge, müsste diese von den Parlamenten von Athen bis Berlin gebilligt werden.
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Was passiert eigentlich gerade mit Griechenland?

Kapitel 1: Gemeinsam wird alles besser
Kapitel 2: Ende der Euphorie
Kapitel 3: Wünsche werden erfüllt
In den vergangenen Wochen gibt es wegen dieser Frist immer wieder Krisengipfel, mal auf technischer Ebene mit den Finanzministern der Eurozone, mal der Staats- und Regierungschefs. Lange sieht es trotz vieler Verzögerungen so aus, als würde man sich irgendwie einigen. Die Geldgeber und Griechenland streiten zwar darüber, ob das Land die Reformbedingungen der Geldgeber vor allem durch eine Erhöhung der Einnahmen, zum Beispiel durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, oder auch durch Einschnitte, wie eine Kürzung der Renten, erreichen soll. Die Geldgeber fordern diese Einschnitte zwingend, Griechenland sträubt sich. Die meisten Beobachter gehen aber davon aus, dass man sich in langen Nachtsitzungen kurz vor Ende der Frist wieder einmal auf einen Kompromiss einigen wird. Die Europäische Zentralbank überbrückt die Finanzierungsschwierigkeiten Griechenlands in dieser Zeit mit Notkrediten (Ela). Die Griechen heben immer mehr Geld von ihren Konten ab.
Kapitel 4: Eskalation
Mit diesem Referendum ist nun einerseits klar, dass bis zum 30. Juni keine Einigung erzielt werden kann, denn die Abstimmung wird voraussichtlich erst am kommenden Wochenende stattfinden. Andererseits verprellt die griechische Regierung EU, EZB und IWF derart, dass Griechenland aus den Verhandlungen ausgeschlossen wird. Tsipras beantragt einer Verlängerung des Hilfsprogramm bis zum Referendum, doch die Geldgeber lehnen es ab. Die Fronten sind so verhärtet wie nie. Die Griechen versuchen so viel Geld wie möglich abzuheben, es bilden sich Schlangen an den Geldautomaten.
Die Ankündigung des Referendums zieht viele Schritte nach sich. Die Europäische Zentralbank erhöht ihre Notfallkredite nicht mehr. Da Griechenland diesen Kreditrahmen schon fast ausgeschöpft hat, kommt das Land nun nicht mehr an neues Geld heran. Die Regierung kündigt Kapitalverkehrskontrollen an und schließt die Banken. Die Griechen dürften seitdem nur noch 60 Euro am Tag an den Bankautomaten abheben und nur innerhalb des Landes Geld überweisen. Am 30. Juni bedient die griechische Regierung ihren Kredit beim IWF nicht und ist nun offiziell in Zahlungsverzug.