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Presseschau : Die Impulse sollen aus Griechenland kommen

  • Aktualisiert am

Einen Ableger des griechischen Links-Bündnisses Syriza gibt es auch in Deutschland. Bild: dpa

Die Wahl in Griechenland hat Bedeutung für ganz Europa. Viele Kommentatoren gehen davon aus, dass sich EU und Athen auf einen Kompromiss einigen - so wie immer. Eine Blick durch die Zeitungen.

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          In Griechenland regiert jetzt das Links-Bündnis Syriza des Alexis Tsipras. Nur einen Tag nach seinem deutlichen Wahlsieg hat er eine Koalition mit den rechtspopulistischen „Unabhängigen Griechen“ festgeklopft und ist vereidigt worden. Das Thema hat natürlich auch eine große Bedeutung auch über Griechenland hinaus, wichtige Zeitungen in vielen Ländern haben es darum kommentiert. Was die Kommentatoren dazu sagen:

          „Deutschland sollte flexibler auf die Forderung der Griechen nach Schuldenerlass reagieren, was auch für andere Länder der Eurozone gilt. Die schlechte Wirtschaftslage Europas untergräbt die Glaubwürdigkeit der Politiker traditioneller Parteien und gibt linken Populisten und rechten Rassisten Auftrieb“, schreibt beispielsweise die konservative britische Times“: „Doch Angela Merkel hat völlig zu Recht betont, dass Europas Sozialsysteme zu teuer sind. Griechenland hat nur geringen Handlungsspielraum. Die neue Regierung in Athen muss einsehen, dass teure Sozialprogramme eine gesunde und zahlungskräftige Wirtschaft erfordern.“

          Das Schweizer Blatt „Neue Zürcher Zeitung“ sieht den neuen Ministerpräsidenten Tsipras dazu verpflichtet, auf Reformkurs zu bleiben: „Letztlich wird auch eine Regierung unter der Führung von Alexis Tsipras nicht darum herumkommen, die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu verbessern. Dazu sind weitere Reformen unumgänglich.“ Sie weist aber auch darauf hin, wie politisch wichtig es ist, dass die Veränderungen dem Land nicht von außen „diktiert“ werden. „Ließe sich der Eindruck vermitteln, die Impulse dazu kämen aus Griechenland selbst, nähme die Wahrscheinlichkeit zu, dass sie auch umgesetzt würden. In diesem Fall könnte sich das Konsum- und Investitionsklima verbessern. Entscheidend wird sein, ob das politische Klima freundlich und stabil genug ist, um mehr Auslandsinvestitionen anzuziehen. Erst dann wäre ein Aufschwung denkbar, der das Land wieder auf eigenen Beinen stehen ließe. Griechenland hat also noch viel zu tun, will es vermeiden, düsteren Zeiten entgegenzugehen.“

          Die liberale dänische Tageszeitung „Politiken“ geht davon aus, dass der teils steilen Wahlkampf-Rethorik von Tsipras nun wesentlich gemäßigtere Töne folgen werden. „Griechenland hat, obwohl Syriza das Gegenteil andeutet, ein klares Interesse daran, in der EU und im Euro zu bleiben, anstatt allein zu sein - oder, mit anderen Worten, nach einem wirtschaftlichen Zusammenbruch neu anzufangen“, analysiert die Zeitung. Aber auch die EU werde in irgendeiner Form entgegenkommen: „Die EU hat auch ein Interesse daran zu zeigen, dass sie mit der griechischen Krise umgehen kann, ohne dass Griechenland aussteigt, und ohne dass andere wirtschaftlich schwache Länder das verlockende Gefühl bekommen, dass sie sich einfach immer mehr Geld aus der EU-Kasse holen können. Deshalb müssen die beiden Parteien über eine gewisse Lockerung der Schulden und des Zeitraums für die Rückzahlung verhandeln. Aber die klare Bedingung muss sein, dass die Syriza-Regierung und die Wähler Griechenlands Probleme selbst in den Griff bekommen.“

          Von einem Kompromiss, der auch noch längere Laufzeiten für Griechenlands Schulden beinhaltet, geht die linksliberale Pariser Zeitung „Libération“ aus: „Die Forderung des neuen griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras (nach einem Schuldenerlass) ist nicht extravagant. Das muss Europa verstehen und mit Griechenland verhandeln, denn letztendlich sind die Interessen der Kreditgeber und Griechenlands miteinander verbunden. Die Befürworter eines Schuldenerlasses vergessen oft, dass keine Haifische der Hochfinanz mit Athen verhandeln, sondern zumeist Nationalstaaten, die durch Besteuerung ihrer Bürger die Verluste durch erlassene Schulden ausgleichen. Allein für Frankreich könnte dies bis zu 40 Milliarden Euro ausmachen. Alles spricht also für einen Kompromiss, um die Rückzahlung der Schulden auf einige Jahrzehnte auszudehnen.“

          Ein abermaligen Schuldenschnitt kommt nicht, zumindest nicht in absehbarer Zeit, haben gestern die Finanzminister der Euroländer durchblicken lassen und auch EU-Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker wies entsprechende Ideen zurück. Die Wiener Zeitung „Die Presse“ findet das richtig und kommentiert: „Warum sollten IWF und EU Dutzende Milliarden Euro in den Schornstein schreiben, wenn in Athen eine Regierung im Amt ist, die ihr nicht vorhandenes Geld erklärtermaßen mit beiden Händen ausgeben will? Damit sie ein halbes Jahr nach einem Schuldenschnitt wieder Milliarden in ein rot lackiertes Fass ohne Boden hineinschütten?“ Der Ausblick der Kommentatoren dieser Zeitung fällt nüchtern-pragmatisch aus: „Am Ende wird es wohl die beliebteste aller Politiker-Optionen: das Weiterwursteln. Griechenland behält den Euro bei, einigt sich mit der EU auf einen Kompromiss, führt den Sparkurs mit Abstrichen fort und muss seine Schulden erst später zurückzahlen. Die Wende in Europa, die Linke aller Lager nach dem Wahlsieg von Tsipras herbeischwärmen, wird indes Wunschdenken bleiben. Eine sozialromantische Ausweitung der Staatsausgaben ist bei den jetzigen Schuldenständen nicht drin.“

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