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Neuer Währungskommissar : Vorbehalte gegen Pierre Moscovici

Pierre Moscovici konnte nicht so recht überzeugen. Bild: AP

Der designierte EU-Währungskommissar Pierre Moscovici stellt sich im Europaparlament bohrenden Fragen. Auch AFD-Chef Bernd Lucke lässt Moscovici auflaufen.

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          Ziemlich schnell ist Pierre Moscovici genervt. Diese Frage habe er nun wirklich schon mehrfach beantwortet. Und sie sei ja wichtig, aber er könne nur wiederholen, was er doch schon gesagt habe. Ja, er sei stolz, ein Franzose und Sozialdemokrat zu sein, aber in seinem Amt als EU-Währungskommissar sei er nicht der Botschafter eines Landes oder einer Partei, sondern der Hüter des Gemeinschaftsinteresses. Und selbstverständlich müssten alle EU-Staaten gleich behandelt werden. „Mir stehen die Regeln zur Verfügung, nichts als die Regeln.“ Die werde er anwenden.

          Werner Mussler
          Wirtschaftskorrespondent in Brüssel.

          Gemeint sind natürlich die Regeln des EU-Stabilitätspakts, und die immer wiederholte Frage lautet, was der frühere französische Finanzminister denn jetzt gegen die unverändert defizitäre französische Finanzpolitik zu tun gedenke. Moscovici steht am Donnerstag dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments Rede und Antwort, und anders als in der Anhörung des ebenfalls umstrittenen Briten Jonathan Hill am Vortag ist die Atmosphäre hitzig. Immer wieder greifen Parlamentarier denselben Punkt auf:  ob der künftige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nicht den Bock zum Gärtner gemacht habe, als er ausgerechnet den früher fürs französische Staatsdefizit verantwortlichen Moscovici zum Aufseher über die Haushaltspolitik bestimmte.

          Dabei verläuft der Streit nicht entlang bekannter deutsch-französischer Fronten, auf die sich Moscovici wohl eingestellt hatte – immer wieder beruft er sich auf seinen „Freund Wolfgang Schäuble“. Dessen CDU/CSU-Parteifreunde im Parlament melden sich kaum zu Wort. Die härtesten Fragen aus der christdemokratischen EVP-Fraktion erhält Moscovici aus Frankreich und Spanien. Wie er die Finanzpolitik der Mitgliedstaaten beaufsichtigen wolle, wo er doch als Finanzminister in Frankreich total versagt habe, will der Franzose Alain Lamassoure wissen. Warum es sich Frankreich leisten könne, jene Strukturreformen weiter zu verschleppen, die sein Heimatland erfolgreich durchgeführt habe – und ob Moscovici das weiter tolerieren werde, fragt der Spanier Pedro Zalba. Und die niederländische Liberale Cora van Nieuwenhuizen kann sich nicht vorstellen, dass der neue Kommissar je glaubwürdig Strukturreformen anmahnen könne, „wo Sie selbst als Minister da doch so schrecklich enttäuscht haben“.

          Moscovici mag Schulden auch nicht

          Moscovici bekennt sich durchaus zur Reform- und Konsolidierungspolitik. Die hohe Staatsschuld sei unproduktiv, jeder Euro, der für den Schuldendienst draufgehe, fehle für Investitionen in Bildung oder Infrastruktur – und genau deshalb müssten die Schulden reduziert werden. Der designierte Kommissar müht sich auch redlich, die Orthodoxie des Paktes zu beschwören. So oft beruft er sich auf die Regeln, dass man meinen könnte, er sei über Nacht zum Ordnungspolitiker geworden.

          Wer ihm zuhört, bemerkt freilich schnell, dass diese Regeln längst nicht mehr so eindeutig sind wie früher erdacht – für einen französischen Sozialisten sind sie deshalb längst kein Problem mehr. Der Pakt sei nicht rigide, sondern „klug“, sagt Moscovici. Er sehe Flexibilität vor, man müsse die jeweiligen Umstände in jedem Land einzeln betrachten. Entscheidend sei, ob dieses Land „geeignete Maßnahmen“ zum Defizitabbau ergriffen habe. Stimmt, all das entspricht den ja schon so oft geänderten Regeln des Pakts. Und Moscovici wird sie anwenden.

          Wie es um diese Regeln steht, zeigt der Ex-Minister selbst, als er sich gegen die Kritik an der eigenen defizitäre Haushaltspolitik wehrt. Die habe immer in Einklang mit den Regeln gestanden. Und in der Tat: Zu Moscovicis Ministerzeiten kam der Vorschlag, Frankreich trotz fortgesetzt zu hohen Defizits mehr Zeit zur Beseitigung desselben zu geben, vom finnischen Währungskommissar Olli Rehn. Die EU-Finanzminister haben ihn gebilligt. Schon bisher war also alles schön regelkonform.

          So kann es auch bleiben, wenn in den kommenden Monaten die Überprüfung des französischen Etatentwurfs für 2015 ansteht. Dass sich Moscovici dazu noch nicht konkreter äußern will, ist verständlich. Eine erste Prüfung wird noch in der Verantwortung des amtierenden Währungskommissars Jyrki Katainen stattfinden. Und so konkret wird der Franzose doch noch: Die Etatpläne Frankreichs und Italiens müssten „mindestens vertieft geprüft“ werden.

          Doch reicht Moscovicis mantrahafte Beteuerung seiner Regeltreue, um als Kommissar zu überzeugen? Allzu oft weicht er aus und flieht in Floskeln. Das ist nachvollziehbar, wenn er Fragen beantworten soll, die sich auf die großen Zukunftsfragen der Währungsunion beziehen – die kann er gar nicht allein beantworten.  Doch auch wenn es konkret wird, bleibt er Antworten schuldig – etwa als ihn der AfD-Vorsitzende Bernd Lucke darauf aufmerksam macht, dass Frankreich in seiner Amtszeit die länderspezifischen Empfehlungen der EU-Kommission in der Steuerpolitik zu einem erheblichen Teil nicht verwirklicht hat. Lucke will von Moscovici drei Empfehlungen genannt bekommen, die dieser umgesetzt habe. Der Franzose hat offenbar keine Antwort; stattdessen flüchtet er sich in den Gemeinplatz, dass Europa nur funktioniere, wenn Deutschland und Frankreich eng zusammenarbeiteten. 

          Es überrascht nicht, dass danach nicht nur die Unionsabgeordneten unzufrieden sind. Der wirtschaftspolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Burkhard Balz CDU), berichtet aus seiner Fraktion, ausnahmslos alle Kollegen hätten die Vorstellung als unbefriedigend empfunden. Moscovici sei „offenbar nicht der geeignete Mann“ für dieses Amt. Sein CDU-Kollege Werner Langen kritisiert, der Kandidat habe „viel europäische Folklore und wenig Detailantworten“ geliefert.
          Am Ende beschließen alle Fraktionen von links bis rechts mit Ausnahme der Sozialdemokraten, Moscovici müsse in der kommenden Woche noch einmal gehört werden. Das war zu erwarten gewesen, nachdem ebenjene Sozialdemokraten am Vorabend eine abermalige Diskussion mit dem konservativen designierten Finanzmarktkommissar Jonathan Hill erzwungen hatten. Nichts spricht indes dafür, dass dem parlamentarischen Theaterdonner ein endgültiger Einspruch der Abgeordneten gegen Hill und Moscovici folgen wird. Am Ende gingen wohl beide durch, sagt ein Parlamentarier, der es wissen müsste.

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