Der frühere griechische Statistikamtschef Andreas Georgiou, der Ende 2010 falsche Statistiken seiner Vorgänger korrigiert hatte, ist zu einer weiteren Strafe verurteilt worden. Diesmal geht es um angebliche „üble Nachrede“ gegen Vorgänger im Statistikamt. Georgiou soll einem früheren Abteilungsleiter 10.000 Euro Schadenersatz zahlen. Die Begründung ist, dass Georgiou in einer Pressemitteilung 2014 gefragt hatte, warum er angeklagt werde für korrekte Statistiken, während gegen jene, die für falsche Daten über die griechischen Haushaltsdefizite bis 2009 verantwortlich sind, nicht ermittelt werde.
Die EU-Kommission und Eurostat hatten deren Daten „betrügerisch“ genannt. Die Richter des Athener Zivilgerichts haben Georgiou nun wegen „einfacher übler Nachrede“ verurteilt. Sie finden nicht, dass Georgiou etwas Unwahres gesagt habe, doch hätte er die Aussagen nicht in der Pressemitteilung verbreiten dürfen. Das schriftliche Urteil ging vor wenigen Tagen an Georgiou. „Ich finde das absurd: Wenn man die Wahrheit sagt, dann ist das doch keine üble Nachrede“, sagte Georgiou am Wochenende dieser Zeitung. Der 57 Jahre alte Statistiker, der inzwischen wieder in Amerika lebt und als Gastprofessor am Amherst College in Massachusetts lehrt, bezweifelt die Unabhängigkeit der griechischen Justiz. „Zusätzlich zur Geldstrafe fordern sie, dass ich das Urteil auf meine Kosten als Anzeige in der Zeitung ,Kathimerini‘ veröffentliche. Das kommt einer Entschuldigung und öffentlichen Demütigung gleich.“
„Mein Menschenrecht ist verletzt“
Schaltet Georgiou die Anzeige nicht innerhalb einer bestimmten Frist, muss er für jeden Tag Verzögerung 200 Euro Strafe zusätzlich zahlen. Der Statistiker sieht mit dem Urteil seine demokratischen Rechte verletzt: „Ich darf mich nicht mehr öffentlich gegen die Anschuldigungen verteidigen, sonst gilt das als üble Nachrede – damit sind meine Redefreiheit und mein Menschenrecht verletzt.“
Im August dieses Jahres war Georgiou schon in einem Strafverfahren zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden – wegen eines angeblichen Formfehlers in seiner Zeit als Chefstatistiker, weil er die Revision der 2009-Defizitzahlen nicht dem Verwaltungsrat vorgelegt hatte.
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JETZT ANMELDENDas Urteil stieß bei den europäischen Statistikbehörden, der EU-Kommission und den Kreditgebern Griechenlands sowie in der Europäischen Zentralbank auf Unverständnis. Es wurde als politisch-juristische Verfolgung eines unbequemen Statistikers gesehen, der das Ausmaß der gefälschten Statistiken in Griechenland offengelegt hatte. Die Zeitung „Kathimerini“ schrieb von einer „Hexenjagd“. Georgiou hat Berufung gegen das Urteil eingelegt; vermutlich Anfang Dezember wird darüber vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt.
Sechs weitere Verfahren laufen
Gegen ihn sind weitere sechs Verfahren anhängig. Die von der Syriza-Regierung berufene Generalstaatsanwältin Xeni Demetriou fordert sogar eine lebenslange Freiheitsstrafe. In der Anklage heißt es zur Begründung, Georgiou habe mehr als 170 Milliarden Euro Schaden in Griechenland angerichtet. Diese Summe ergibt sich aus den Krediten, die Griechenland in der Schuldenkrise 2010 bis 2012 aufnehmen musste.
Georgiou wird damit vorgeworfen, seine „übertriebenen“ Defizitzahlen seien allein dafür verantwortlich, dass der Hellenische Staat in die Schuldenkrise und Rezession rutschte. Dabei war der renommierte Statistikexperte erst im August 2010 nach Athen berufen worden, um im Statistikamt aufzuräumen und die Statistikmethoden auf internationale Standards zu bringen. Zuvor hatte er mehr als zwei Jahrzehnte beim Internationalen Währungsfonds gearbeitet. 2015 kehrte Georgiou nach Amerika zurück.
Die hohen Kosten für die diversen Gerichtsverfahren haben ihn in finanzielle Schwierigkeiten gestürzt. Statistiker und Freunde auf der ganzen Welt haben Geld gesammelt, damit er die Prozesskosten bezahlen kann. „Ich bin einigermaßen verzweifelt“, sagte Georgiou. Außerdem sieht er, dass die Verfolgung seiner Person auch auf die heutigen Statistiker in Athen Auswirkungen habe, die im Zweifel Angst haben müssten, wegen unliebsamer Daten ebenfalls angeklagt zu werden.