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Flutschäden : Kommt jetzt die Katastrophen-Pflichtversicherung?

Ein von der Flut beschädigtes Haus in Altenahr (Rheinland-Pfalz) wird abgerissen. Bild: dpa

Weil Betroffene das Risiko nicht absichern wollten oder konnten, sehen sich Politiker moralisch gezwungen, ihnen zu helfen. Das kann falsche Anreize setzen.

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          Der Bund hilft den Flutopfern – und übernimmt so in den Hochwassergebieten noch einmal die Rolle des Elementarschaden-Versicherers. Das haben Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) nach dem Kabinettsbeschluss zu dem Hilfspaket für die von den Fluten betroffenen Menschen und Kommunen deutlich gemacht. Gleichwohl denkt die Bundesregierung über eine Versicherungspflicht nach.

          Manfred Schäfers
          Wirtschaftskorrespondent in Berlin.

          In dem Fall müsste der Steuerzahler in einem künftigen Katas­trophenfall nicht abermals einspringen, weil die Betroffenen das Risiko nicht absichern wollten oder konnten – und die Regierungen von Bund und Ländern moralisch gezwungen sind, ihnen zu helfen. Auch erwägt der Bund, gemeinsam mit den Ländern einen dauerhaften Krisenfonds einzurichten, um für weitere Unwetterszenarien vorbereitet zu sein. Diese dürften nach Einschätzung von Fachleuten im Zuge des Klimawandels verstärkt auftreten.

          Der SPD-Politiker warnte davor, in der aktuellen Situation Menschen ohne Versicherungsschutz zu bestrafen. „Es geht hier um eine große Katastrophe, da muss geholfen werden. Das muss die erste Priorität haben und nicht irgendwelche Prinzipien“, meinte Scholz. Jetzt müsse man helfen. „Ich plädiere dafür, nicht zynisch zu sein, nicht herzlos zu sein.“ Auf das Nachhaken, ob nicht doch das Bemühen um einen Versicherungsschutz bei den Hilfen positiv berücksichtigt werden sollte, reagierte der Finanzminister ausweichend. „Die Frage, was konkret wie viel bezahlt wird, muss ja noch genau festgelegt werden.“ Das werde schnell und pragmatisch mit den Ländern entschieden.

          „Anreize werden untergraben“

          Der Ökonom Daniel Osberghaus vom ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung warnte davor, die langfristigen Folgen der schnellen und unbürokratischen Hilfen für Hochwasser-Opfer auszublenden. „Sie untergraben die Anreize zur privaten Vorsorge wie beispielsweise zum Abschluss einer Elementarschadenversicherung oder bauliche Vorsorgemaßnahmen.“ Außerdem benachteiligten sie de facto Hausbesitzer, die eine Versicherung abgeschlossen hätten. Daher könnten sie als ungerecht empfunden werden. Er sprach sich für eine Stärkung des Versicherungsmarktes für Elementarschäden aus und verwies auf Nachbarländer, die entweder Versicherungspflichten oder Katastrophenfonds mit gedeckelten Auszahlungsbeträgen hätten.

          Nach Angaben der Deutschen Versicherungswirtschaft sind hierzulande fast alle Wohngebäude gegen Sturm und Hagel abgesichert. Allerdings besitzen nur 46 Prozent der Hausbesitzer den Schutz vor weiteren Naturgefahren wie Starkregen und Hochwasser. Die Schäden nach der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gehen nach Einschätzung des Verbands in die Milliarden. „Wir rechnen momentan mit versicherten Schäden in Höhe von 4 bis 5 Milliarden Euro“, berichtete Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen.

          „Manche können sich nicht versichern“

          Nach den Worten des SPD-Kanzlerkandidaten will der Bund mit den Ländern klären, welche Konsequenzen aus der aktuellen Katastrophe zu ziehen sind. Die Versicherungsfrage sei nicht ganz einfach. So warf Scholz die Frage auf, ob es unterschiedliche Tarife geben solle. Wer dann in einem Gebiet mit Überflutungsrisiko baut, müsste eine teurere Police in Kauf nehmen.

          Heute ist die Sache aus Sicht potentiell Betroffener gar nicht so einfach. „Manche können sich nicht versichern, auch wenn sie wollen“, gab Seehofer zu bedenken. „Wenn sie direkt an der Donau wohnen, werden sie niemand finden, der das versichert.“ Das sei ein sehr komplexer Sachverhalt, daher sei es richtig, das mit den Ländern intensiv zu besprechen. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner warnte, solche Schadensereignisse träten infolge des Klimawandels vermehrt auf. Er forderte gegenüber Bild Live: „Wir müssen über eine Klima-Haftpflicht sprechen, weil sich solche Ereignisse häufen.“

          Das Kabinett beschloss am Mittwoch eine Soforthilfe von 200 Millionen Euro, es wird erwartet, dass die Länder einen ebenso großen Betrag bereitstellen. Die Soforthilfe sollte in Nordrhein-Westfalen nicht anders aussehen als in Rheinland-Pfalz. Auch die Aufbauhilfe sollte nicht strukturell unterschiedlich geregelt werden. Man werde sich bei allem an früheren Vorgehensweisen orientieren. Vielleicht werde man sehen, dass man ein oder zwei Punkte besser machen könne. Wenn mehr notwendig sein sollte, sei der Bund bereit, seinen Betrag zur Soforthilfe aufzustocken, sagte Scholz. Im Haushalt stünden genügend Mittel zur Verfügung.

          Seehofer zitierte eine frühe Aussage des SPD-Politikers: „Am Geld wird die Hilfe nicht scheitern.“ Die Hilfe für den Wiederaufbau dürfte über Jahre laufen und einen Milliardenbetrag erfordern. Scholz und Seehofer wollten sich nicht auf einen Betrag festlegen, sie erinnerten nur an die Flut aus dem Jahr 2013, als man am Ende 6 Milliarden Euro für diesen Zweck benötigt habe.

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