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Haushaltspolitik : EU-Kommission nimmt Reform des Stabilitätspakts vorweg

Vorgeprescht: Valdis Dombrovskis (links) und Paolo Gentiloni Bild: EPA

Ein Gesetzesvorschlag für die Reform der EU-Budgetregeln steht noch aus. Die EU-Kommission stört das nicht. Sie will in der Haushaltsaufsicht nach den neuen Regeln verfahren.

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          Bisher hat die EU-Kommission im langen Streit um die Reform des EU-Stabilitäts- und Wachstumspakts keinen Vorschlag für eine Novelle der bestehenden Regeln vorgelegt. In ihren haushaltspolitischen Empfehlungen an die Mitgliedstaaten für 2024, die der für Wirtschaft zuständige Vizepräsident Valdis Dombrovskis und Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni am Mittwoch vorgestellt haben, erweckt die EU-Behörde aber den Anschein, dass ihre teils umstrittenen Reformideen schon in Kraft sind. „Wir drängen die Mitgliedstaaten, ihre Haushaltsplanungen nach den neuen Regeln aufzustellen“, sagte Dombrovskis. Die jetzt veröffentlichte Mitteilung atme den „Geist der neuen Regeln“, fügte Gentiloni hinzu.

          Werner Mussler
          Wirtschaftskorrespondent in Brüssel.

          In der Tat folgen die Empfehlungen für 2024 den Kriterien, die die EU-Behörde in einem Positionspapier im November entworfen hatte. Dass man die Budgetpolitik zugleich nach dem bisherigen Stabilitätspakt und dem neuen Regelwerk beurteilen werde, gleiche der „Quadratur des Kreises“, räumte Dombrovskis ein. „Wir werden das aber hinbekommen“, sagte Gentiloni. Der Juristische Dienst der Kommission sei schon damit befasst.

          Schon in der konkreten Beurteilung der nationalen Budgetpläne im Mai wolle man stärker als bisher eine „mittel- bis langfristige Perspektive“ einnehmen, sagte der Italiener. Das entspricht der Kommissionsidee, die Haushaltspolitik nicht mehr Jahr für Jahr, sondern für vier bis sieben Jahre zu bewerten. Als wichtigster Maßstab soll dabei der „Nettoausgabenpfad“ des betreffenden Landes dienen. Ferner sollten die nationalen Budgets „differenziert“ nach der Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Landes beurteilt werden. Das widerspricht der Forderung der Bundesregierung nach einer „multilateralen“ Beurteilung, die für alle Länder gleich gelten soll.

          Auch der Beitrag zur grünen und digitalen Transformation soll gewürdigt werden

          „Das entscheidende Kriterium ist künftig die Schuldentragfähigkeit jedes Landes, wie wir es in unserem Orientierungspapier vorgeschlagen haben“, sagte Gentiloni. Die umstrittene Ein-Zwanzigstel-Regel, nach der jeder Staat mit einer Schuldenquote von mehr als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung diese jährlich um ein Zwanzigstel der Differenz zu 60 Prozent reduzieren muss, wäre damit abgeschafft. Die neue Regel bedeutet, dass ein Staat nichts befürchten muss, solange die Märkte seine Staatsschuld noch als tragfähig einstufen. Das war bisher nur während der Eurokrise zwischen 2010 und 2015 in einzelnen Mitgliedstaaten nicht der Fall.

          In die Brüsseler Beurteilung der nationalen Finanzpolitik sollen ferner stärker qualitative Maßstäbe einfließen. Die Kommission will sich also nicht nur an den Maastrichter Haushalts-Referenzwerten von 3 Prozent der Wirtschaftsleistung für die Neuverschuldung und 60 Prozent für den Schuldenstand orientieren. Sie will auch stärker den nationalen Beitrag zur grünen und digitalen Transformation, andere öffentliche Investitionen sowie verschiedene Reformen würdigen.

          Die Kommissionsideen zur Paktreform waren lange umstritten. Noch vor drei Wochen hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gesagt, das Kommissionspapier vom November sei „nicht mehr als ein Start“. Die EU-Behörde sieht sich nun aber offenbar so in ihren Ideen bestätigt, dass sie schon jetzt die noch nicht bestehenden neuen Regeln anwenden will.

          Der Grund ist offenbar, dass die Mitgliedstaaten mittlerweile ein Konsenspapier erarbeitet haben, das zwar sehr allgemein formuliert ist, aber doch einen kleinsten gemeinsamen Nenner erkennen lässt. Sollten die EU-Finanzminister dieses Papier in der kommenden Woche billigen, will die Kommission ihren Gesetzesvorschlag spätestens im April vorlegen. Freilich zeigten sich EU-Diplomaten am Mittwoch verstimmt über das Vorgehen der Behörde. „Die Kommission spielt Foul“, hieß es in Brüssel. Gentiloni gab dennoch der Hoffnung Ausdruck, dass die Beratungen des Vorhabens im Europaparlament und im Ministerrat noch in diesem Jahr abgeschlossen werden könnten. Der bisher geltende EU-Stabilitätspakt ist seit März 2020 zunächst wegen der Pandemie, später wegen des Kriegs in der Ukraine bis Ende dieses Jahres ausgesetzt.

          Dombrovskis forderte die Mitgliedstaaten auf, in ihren bis Mitte April fälligen Budgetplänen für 2024 das 3-Prozent-Kriterium zu „respektieren“ und für die Schulden einen langfristigen Abbaupfad vorzuschlagen. Nach der Herbstprognose der Kommission wird das Staatsdefizit im kommenden Jahr in 12 der 27 Mitgliedstaaten über 3 Prozent liegen. Ob die EU-Behörde gegen diese Länder im kommenden Jahr wieder Defizitverfahren einleiten könnte, ließ der Lette offen. Er deutete aber an, dass die Kommission darüber erst nach der Europawahl im Mai 2024 entscheiden wird.

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