
Kommentar : Sprengsatz an den Klinikfinanzen
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Die Krankenhäuser werden nach Art der Behandlung bezahlt. Bild: obs
Die Koalition will Pflegedefizite in den Krankenhäusern beheben. Ihre Vorschläge werden teuer und zu mehr Bürokratie führen, aber das Pflegeproblem nicht lösen.
Niemand geht gerne ins Krankenhaus. Doch wenn es schon sein muss, will sich der Patient darauf verlassen können, dass die medizinische und die pflegerische Versorgung gut sind. Die Qualität der ärztlichen Leistung können die meisten nicht beurteilen; die Güte der pflegerischen Versorgung erschließt sich indes intuitiv: Wie lange dauert es, bis die Nachtschwester auf ein Klingeln reagiert, wie gestresst sind die Pfleger?
Man muss keine Feldforschung betreiben, um festzustellen, dass hier manches im Argen liegt. Es hilft der Blick in die Tabellen des Statistischen Bundesamtes, das die 100 Milliarden Euro teure deutsche Krankenhauslandschaft seziert. Die Zahl der Einweisungen steigt, 2016 wurden fast 20 Millionen Patienten behandelt, zugleich sinkt die Liegezeit. Selbst nach komplizierten Operationen werden Patienten binnen weniger Tage in die Reha oder die ambulante Versorgung entlassen. Die Statistik zeigt auch, dass die Zahl der Ärzte seit Jahren stark ansteigt, während die der Pfleger den gegenteiligen Kurs eingeschlagen hat und auf dem Niveau Anfang der 90er Jahre liegt – auch wenn sich die Lage zuletzt leicht verbessert hat.
Bislang wird nach Art der Behandlung bezahlt
Die neue Bundesregierung hat hier ein Defizit erkannt. Sie will für mehr Pflegepersonal im Krankenhaus sorgen. Dafür hat sie unerwartet einen Plan in den Koalitionsvertrag aufgenommen. „Künftig sollen Pflegepersonalkosten besser und unabhängig von Fallpauschalen vergütet werden. Die Krankenhausvergütung wird auf eine Kombination von Fallpauschalen und einer Pflegekostenvergütung umgestellt.“ Was einfach und klar klingt, ist in Wahrheit ein Sprengsatz am Finanzsystem der Kliniken. Das wäre keine schlechte Idee, wenn das Übel damit bekämpft würde. Aber die Koalitionäre verfolgen das richtige Ziel, eine bessere Pflege, mit den falschen Mitteln.
Die Krankenhäuser werden seit mehr als zehn Jahren nicht mehr nach der Dauer der Liegezeit der Patienten bezahlt, sondern nach der Art der Behandlung. Für jeden „Fall“ gibt es eine Pauschale. Diese Fallpauschalen geben den Kliniken Anreize für größere Sparsamkeit. Denn statt der tatsächlich entstandenen Kosten erstatten die Kassen die Pauschale. Wird der Patient schneller gesund, bleibt für die Klinik Geld übrig, muss er wegen schlechter Versorgung länger bleiben, zahlt sie drauf.
Seither ist dieses Finanzsystem immer wieder kritisiert worden. Es leiste der Ökonomisierung des Gesundheitswesens Vorschub, setzte falsche Anreize, bringe Ärzte in ethische Konflikte. Zu viele Rücken- und Gelenk-Operationen seien eine Folge. Unter dem Druck der Pauschalen hätten Klinikmanager Pflegepersonal weggespart. Deshalb soll jetzt der Finanzanteil, die Rede ist von 15 Milliarden Euro im Jahr, aus den Fallpauschalen heraus- und in ein eigenes Pflegebudget umgeleitet werden. Der Hinweis im Regierungsvertrag, die Pflege solle „besser“ vergütet werden, lässt vermuten, dass das nicht kostenneutral geschehen wird. Schon wollen die Klinikärzte ein eigenes Ärztebudget. So unklar vieles in der konkreten Abwicklung und der auf mehrere Jahre zu veranschlagenden Umsetzung der Finanzreform heute noch ist – es bleibt die Frage, wem die neue Unübersichtlichkeit am Ende helfen wird.
Zu viele Betten und zu viele Stationen
Schon bei der in der vergangenen Wahlperiode beschlossenen Bemessung von Untergrenzen für das Pflegepersonal stoßen Krankenhäuser und Kassen technisch und organisatorisch an ihre Grenzen. Wie soll das erst bei dem viel gewaltigeren Umbau der Krankenhausfinanzierung werden?
Dahinter lauert eine große Gefahr: die Rückkehr zum Prinzip der Selbstkostendeckung. Dabei legen die Krankenhäuser fest, was nötig ist, und reichen die Rechnung bei der Kasse ein. Wettbewerb, Transparenz und Qualität werden so zur Nebensache. Wegen der desaströsen Folgen für die Kassenfinanzen waren die Fallpauschalen eingeführt worden. Droht jetzt ein Rollback? Dass solche Sorgen nicht überzogen sind, führt eine andere wettbewerbsfeindliche Verabredung von Union und SPD schlagartig vor Augen: Höhere Löhne für das Personal, die Gewerkschaften und Klinikbetreiber miteinander aushandeln, sollen künftig vollständig von den Kassen refinanziert werden.
Die Eingriffe der Parteien in die Krankenhausfinanzierung verdecken ihre schändliche Untätigkeit an anderen Stellen. So verweigern die Länder, deren Vertreter auch den neuen Koalitionsvertrag mit ausgehandelt haben, den Krankenhäusern jedes Jahr Milliardenbeträge zur Finanzierung von Großinvestitionen. Die Kliniken müssen das aus den Fallpauschalen herauspressen. Kämen die Länder ihrer gesetzlichen Finanzierungspflicht nach, bliebe den Krankenhäusern auch mehr Spielraum, Pfleger einzustellen.
Zum anderen verhindern die Länder die notwendige Reform der Krankenhausstruktur. In Deutschland gibt es zu viele Klinikbetten und zu viele Krankenhausstationen. Sie auszudünnen setzte Geld und Fachkräfte frei, die anderswo dringend gebraucht werden. Doch dazu fehlt auch dieser Koalition die Kraft. Ihre Therapievorschläge werden zu mehr Bürokratie, Kontrolle und Kosten führen, aber das Pflegeproblem nicht kurieren. Wie damit den Patienten geholfen werden soll, ist mehr als fraglich.
