
Kommentar : Die dreiste Koalition
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So viel Geld haben wir auch nicht. Bild: dpa
Die Rente mit 63 ist schädlich. Jetzt sollen wir auch noch dafür bezahlen. Geht es uns eigentlich zu gut?
Der einzige Trost, den die neue Regierung in ihrem depressiv stimmenden Politikprogramm für die nächsten vier Jahre spendete, war der Verzicht auf Steuererhöhungen. Doch jetzt zeigt sich: Wer daran glaubt, ist von allen guten Geistern verlassen. Er unterschätzt die Raffinesse, die in die Regierungsarbeit Einzug erhalten hat.
Vordergründig stimmen alle Minister treu und brav der Vereinbarung zu, dem Bürger nicht noch tiefer in die Tasche zu fassen als ohnehin schon. Aber zur gleichen Zeit lassen sie in ihren Häusern Gesetze ausarbeiten, die hohe Mehrausgaben erzwingen, die irgendwie finanziert werden müssen - entweder über Steuern oder über höhere Beiträge zu den Sozialversicherungen. Der Bürger blecht in beiden Fällen. Das ist unverfroren, um das Mindeste zu sagen.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) preschte mit komplett unverantwortlichen Rentenplänen vor, die einschließlich der CDU-Mütterrente bis zu 16 Milliarden Euro im Jahr verschlingen werden. Die Regierung hatte, kaum im Amt, zur Finanzierung der Reform schon mit der Ausplünderung der Bürger begonnen - als sie die rechtlich vorgegebene Senkung der Rentenbeiträge zum 1. Januar ausfallen ließ. Da geht es um sechs Milliarden Euro, die den Leuten vorenthalten werden. Das reicht aber noch lange nicht, um die Regierungspläne zu bezahlen. Steuergelder müssten her, sagt Ministerin Nahles jetzt: Bei den Koalitionsverhandlungen sei „klar verabredet“ worden, „dass wir eine steuerliche Flankierung brauchen“.
Geht es uns eigentlich zu gut?
Der neue Stern am Berliner Himmel, Familienministerin Manuela Schwesig, hat mit ihrer staatlich alimentierten 32-Stunden-Woche für Eltern kleiner Kinder ebenfalls einen Vorstoß zur Klientelbeglückung unternommen. Man könnte argumentieren, dass es bei den derzeit rund 180 Einzelprogrammen zur Familienförderung auf ein weiteres nicht ankommt. Erst einmal ist Schwesig abgeblitzt, aber an ihrer Vision hält sie fest.
Geht es uns eigentlich zu gut, dass wir glauben, uns all diese Wohltaten leisten zu können? Schlecht steht das Land im Moment nicht da, so viel steht fest. Doch viele Indizien wie die demographische Entwicklung und die geringe Bereitschaft der Unternehmen zu Investitionen im eigenen Land sprechen dafür, dass die Wohlstandsphase endlich ist.
Für die Zeit danach muss sich das Land dringend wappnen. Diese Regierung praktiziert aber das Gegenteil. Das schlimmste gesellschaftspolitische Signal geht von der Rente mit 63 aus, die Nahles als „oberste Priorität“ bald durch den Bundestag bringen will. Diese Reform stellt die Rente mit 67 in ihrem Grundgehalt in Frage, die eine der großen politischen Leistungen der letzten Jahre war. Und sie ignoriert bewusst die dramatischen Veränderungen am Arbeitsmarkt. Ein Teil des deutschen Beschäftigungswunders hängt damit zusammen, dass so viele Ältere arbeiten wie noch nie. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Alter von 60 bis 64 Jahren hat sich binnen zehn Jahren verdreifacht. Der Trend ist ungebrochen, weil Arbeitgeber durch die Rente mit 67 einen Anreiz hatten, in Gesundheit, Motivation und Bildung erfahrener Arbeitnehmer zu investieren. Jetzt dürfen sie sich auf eine neue Frühverrentungswelle einstellen.
Die Rentenpläne sind ein Signal an die jüngere Generation, stärker als bisher über eine Karriere in anderen Ländern nachzudenken, die sie weniger stark für sozialpolitische Wohltaten in Haftung nehmen. Firmen können sich nicht darauf verlassen, dass sie künftig noch genügend Personal vorfinden, um ihre Aufträge abarbeiten zu können.
Dabei soll es vorkommen, dass Frührentner nach dem kurzlebigen Glücksgefühl, morgens nicht mehr früh aufstehen zu müssen, in die Depression rutschen - ohne Beschäftigung und soziale Kontakte. Das bremst Nahles’ Elan offenbar nicht. Gewiss lässt sich auch daraus ein steuerfinanziertes Sozialprogramm machen: zur Therapie depressiver Frührentner.