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Klage der Energiekonzerne : Was das Atomausstieg-Urteil bedeutet

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe verkündet das Urteil zum Atomausstieg. Bild: dpa

Den Energieunternehmen steht nun eine angemessene Entschädigung zu. Aber was heißt das? Eine besondere Rolle spielte im Verfahren ein schwedischer Konzern.

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          Den Energiekonzernen steht wegen des beschleunigten Atomausstiegs nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima eine angemessene Entschädigung zu. Das hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag in Karlsruhe festgestellt, ohne eine konkrete Summe zu nennen. Über diese muss nun der Gesetzgeber entscheiden und eine entsprechende Regelung auf dem Weg bringen. Bis Ende Juni 2018 hat er dafür Zeit.

          Corinna Budras
          Wirtschaftskorrespondentin in Berlin.

          Vor allen Dingen Vattenfall und RWE dürften von solchen Zahlungen profitieren, bei Eon ist die Situation eine andere. Das Energieunternehmen konnte besser als seine Konkurrenten die Verluste aus dem Atomausstieg innerhalb des Konzerns ausgleichen und auf jüngere Kernkraftwerke übertragen. Möglich ist aber auch hier, dass der Konzern „frustrierte Investitionen“ geltend machen kann, die er im Vertrauen auf eine längere Laufzeit getätigt hat. Schätzungen zufolge beliefen sich die Forderungen der drei Unternehmen auf insgesamt rund 19 Milliarden Euro.  

          Das Urteil beendet einen langjährigen Streit, ob die Konzerne durch den Zick-Zack-Kurs der Bundesregierung in ihren Eigentumsrechten verletzt worden sind. 2002 hat sich die damalige rot-grüne Bundesregierung mit den Energieversorgern auf einen Atomkonsens geeinigt, der einen Rückzug auf Raten durch individuell zugeteilten Reststrommengen vorsah. Damit sollte verhindert werden,  dass sie Unternehmen unverhältnismäßig belastet werden. Nach dem Regierungswechsel verlängerte die neue schwarz-gelbe Bundesregierung im Jahr 2010 die Laufzeiten wieder, um die Kernenergie noch länger als „Brückentechnologie“ nutzen zu können. Nur drei Monate später erschütterte ein Tsunami die Ostküste Japans und sorgte für eine Kettenreaktion im Atomkraftwerk Fukushima, die die Gefahren der Kernenergie wieder in die Erinnerung riefen.

          „Hochrisikotechnologie“

          Die Bundesregierung vollzog daraufhin eine drastische Kehrtwende:  Von der Laufzeitverlängerung wollte sie nun nichts mehr wissen, stattdessen legte sie erstmals konkrete Abschalttermine für die Kernkraftwerke fest. Acht mussten sofort vom Netz, die verbleibenden 15 werden bis 2020 nach und nach abgeschaltet.

          Die Entscheidung, schneller aus der Atomkraft auszusteigen, stellten die Karlsruher Richter nicht grundsätzlich in Frage: Es sei nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber auf die Ereignisse in Fukushima reagierte, obwohl hieraus keine neuen Gefährdungserkenntnisse abgeleitet werden konnten. Schließlich gehe es um eine „Hochrisikotechnologie“, die im besonderen Maße von einer politischen Bewertung und der Akzeptanz in der Bevölkerung abhängig sind.

          Doch das entsprechende Gesetz erklärten die Karlsruher Richter nun für verfassungswidrig, weil es keinerlei Entschädigung für Investitionen und den Verlust von den 2002 beschlossenen Reststrommengen vorsah, die  RWE und Vattenfall verloren geben mussten. Dabei hatte die Bundesregierung nur wenige Monate zuvor mit der Laufzeitverlängerung noch die Hoffnung genährt, dass sich mit den Kernkraftwerken eine Weile lang gutes Geld verdienen lasse.

          Vattenfall klagt auch in Washington

          „Die Kernkraftwerkbetreiber durften sich hierdurch zu Investitionen in ihre Anlagen ermutigt fühlen und mussten nicht damit rechnen, dass der Gesetzgeber noch in derselben Legislaturperiode von der energiepolitischen Grundsatzentscheidung wieder Abstand nehmen würde“, bemängelten die Karlsruher Richter. Diese „frustrierten Investitionen“ muss der Staat nun ausgleichen.

          Eine besondere Rolle spielte im Verfahren der schwedische Konzern Vattenfall, der Miteigentümer des Kernkraftwerks Krümmel in Schleswig-Holstein, weil nicht ein privater Eigentümer sondern der schwedische Staat hinter dem Unternehmen steht. Ausländische staatliche Organisationen können jedoch vor dem Bundesverfassungsgericht eigentlich nicht klagen, schließlich sollen nur Bürger und Unternehmen vor den Eingriffen des Staaten geschützt werden.

          In diesem Fall war es aber besonders dringlich, Vattenfall nicht den Rechtsschutz zu verwehren, schließlich klagt das Unternehmen gleichzeitig auch vor einem privaten Schiedsgericht in Washington. Das erlaubt ihm die internationale Energiecharta, die den Schutz von ausländischen Investitionen garantiert. Hätten die Richter nun Vattenfalls Ansprüche aus formalen Gründen zurückgewiesen, hätte das die private Klage wohl beflügelt.

          Die Karlsruher Richter gewähren nun Vattenfall „ausnahmsweise“ Rechtsschutz, weil der schwedische Staat keine Hoheitsrechte in Deutschland ausübt, sondern lediglich die gleichen Rechte und Pflichten hat wie jedes andere Unternehmen auch. Außerdem stützten sie sich auf die europäische Niederlassungsfreiheit, die es nicht erlaube, europäischen Unternehmen den Weg der Verfassungsbeschwerde zu verwehren.

          Damit beschränkt sich diese Öffnung ausschließlich auf EU-Staaten. Russland und China, die ebenfalls über staatliche Unternehmen Einfluss auf deutsche Unternehmen ausüben, wären damit weiterhin außen vor, vor dem Bundesverfassungsgericht ihre Rechte einzuklagen.

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