F.A.Z.-exklusiv : KfW verpasst dem BIP ein „ökologisches Preisschild“
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Seine Klimaziele wird Deutschland in diesem und im nächsten Jahr voraussichtlich verfehlen. Bild: dpa
Welche ökologischen Kosten hat unser Wirtschaften? Das BIP kann das nicht abbilden. Deswegen hat die KfW ein neues Maß entwickelt. Für die Klimaziele in den nächsten Jahren sieht es schlecht aus.
Die Verhaltenspsychologie lehrt: Bekommen Autofahrer am Straßenrand angezeigt, wie schnell sie fahren, übertreten sie seltener das Tempolimit. Das Ziel, eine solche Geschwindigkeitsanzeige für nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu entwickeln, hat sich nun die staatliche Kreditförderbank KfW gesetzt. Herausgekommen ist ein Maß, das anzeigt, wie viel das erwartete Wachstum in Form von Treibhausgasemissionen voraussichtlich kosten wird – quasi ein „ökologisches Preisschild“ für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) .
„Wirtschaftswachstum ist per se kein Selbstzweck. Deshalb wollen wir ein Bewusstsein dafür schaffen, wie sich unsere Art zu wirtschaften sozial und ökologisch auswirkt“, sagt Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW. Der Indikator, den die Bank künftig zusammen mit ihrer Konjunkturprognose veröffentlichen will, sei ein einfaches, aber gutes Maß dafür, in welche Richtung sich die Klimaschutzbemühungen bewegten.
Die Richtung sei zwar die richtige: Die Emissionen sinken – jedoch nicht stark genug, um die politisch gesetzten Minderungsziele zu erreichen. Das zeigen die Ergebnisse, die am Donnerstag veröffentlicht werden und die der F.A.Z. exklusiv vorliegen. Basierend auf der aktuellen KfW-Wachstumsprognose, die für 2022 ein Plus von 1,4 Prozent vorhersagt, wird der Treibhausgasausstoß in diesem Jahr mit voraussichtlich 722 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten rund 40 Millionen Tonnen über dem politischen Zielpfad liegen. Das sind 6 Prozent zu viel.
Im Jahr 2023, für das die KfW ein BIP-Minus von 0,3 Prozent prognostiziert, dürften die Emissionen zwar auf 687 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente weiter sinken, doch auch das wären 35 Millionen Tonnen oder gut 5 Prozent mehr als angestrebt. „Das bedeutet, dass wir in Deutschland in den nächsten zwei Jahren jeweils eine Slowakei über dem Ziel liegen“, sagt Köhler-Geib. Denn das Land mit 5,5 Millionen Einwohnern stieß zuletzt rund 38 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr aus.
Den Berechnungen zugrunde liegt die vereinfachte Annahme, dass die Treibhausgasemissionen das Produkt aus der Intensität der Emissionen je Einheit des BIP und der Größe des BIP sind. Sprich, bei positivem Wirtschaftswachstum geht der Emissionsausstoß nur dann zurück, wenn ein Rückgang der Intensität realisiert werden kann, der größer ist als das Wirtschaftswachstum. Um die Treibhausgasintensität zu prognostizieren, orientieren sich die KfW-Ökonomen an der Vergangenheit.
Höhere Emissionen erwartet
„Wir haben uns die Entwicklung der Treibhausgasintensität im Mittel der letzten 10 Jahre angeguckt und schreiben diesen Trend für die Zukunft fort“, erklärt Köhler-Geib. „Das heißt aber natürlich, dass wir unterstellen, dass die politischen und technologischen Parameter im Großen und Ganzen so bleiben, wie sie in den letzten 10 Jahren waren“, räumt sie ein.
Ein russischer Gaslieferstopp etwa würde den Einsatz zusätzlicher Öl- oder Kohlekraftwerke notwendig machen, was höhere Treibhausgasemissionen verursachen könne. Gleichzeitig würde das BIP dann aber aller Voraussicht nach geringer ausfallen als bisher angenommen. „Auch für dieses Szenario dürfte der Treibhausgasausstoß die politischen Ziele überschießen, allerdings wohl nicht so stark wie aktuell prognostiziert“, sagt Köhler-Geib weiter. Entscheidend für den Treibhausgasausstoß sei auch, wie mild oder frostig der Winter ausfalle. Das könne jetzt aber noch keiner sagen.
Schließlich verweist die KfW-Chefvolkswirtin auf die Möglichkeit, dass sich die Prognose selbst zerstört. „Wenn es uns durch den Indikator gelingt, die ökologischen Kosten stärker ins Bewusstsein der Menschen zu rücken, und wenn dadurch die Klimaschutzanstrengungen verstärkt würden, wäre unsere Prognose falsch“, sagt sie. „Damit wären wir aber natürlich trotzdem sehr zufrieden.“ Umgekehrt könne eine erwartete Zielüberschreitung auch zu nachlassenden Bemühungen führen. Als Konsequenz wäre das tatsächliche Ergebnis schlechter als die Prognose.
Dem BIP als Wohlstandsmaß weitere Indikatoren zur Seite zu stellen steht auch politisch auf der Agenda. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plädierte in seinem diesjährigen Jahreswirtschaftsbericht dafür, die sozialen und ökologischen Folgen des Wirtschaftens stärker in den Blick zu nehmen.