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CEO : Kernkompetenz Verzetteln

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Selbst jemand wie Steve Jobs ist nicht dagegen gefeit. Dem Apple-Chef wird nachgesagt, sich zumindest zeitweise um Details zu kümmern, die strenggenommen nicht in seinen Beritt fallen. Schließlich soll ein CEO sich über die Strategie ...

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          Selbst jemand wie Steve Jobs ist nicht dagegen gefeit. Dem Apple-Chef wird nachgesagt, sich zumindest zeitweise um Details zu kümmern, die strenggenommen nicht in seinen Beritt fallen. Schließlich soll ein CEO sich über die Strategie seines Unternehmens Gedanken machen und nicht um die Farbe eines Schalters. Die Neigung zum "Mikro-Management" genannten Verzetteln in Kleinigkeiten ist jedoch weit verbreitet. "Bei Mitarbeiterbefragungen hört man häufig von einem solchen Manager-Typus", berichtet Rainer Niermayer von der Managementberatung Kienbaum.

          Wer ein Mikro-Manager genannt wird, sollte darüber nicht in Freudentaumel verfallen - der Begriff ist in der Literatur alles andere als positiv besetzt. Er beschreibt einen Führungsstil, der sich in erster Linie durch übertriebene Detailorientierung auszeichnet. "Übertrieben" bedeutet hierbei auch "nicht der Hierarchiestufe angemessen". Denn typisch für den Mikro-Manager ist das Überspringen von Hierarchiestufen, das heißt, er gibt Detailanweisungen an Mitarbeiter der dritten Ebene, wobei er die zweite Ebene übergeht. Der Mikro-Manager erteilt den Mitarbeitern Aufgaben und kontrolliert deren Erfüllung genau, statt ihnen unter Vorgabe genereller Richtlinien weitgehende Handlungsautonomie einzuräumen. Mikro-Management kann also als Extremform des "Management by Direction and Control"-Führungsstils betrachtet werden - der eigentlich schon seit vierzig Jahren aus der Mode ist.

          Eine wesentliche Ursache für Mikro-Management liegt in der Person der Führungskraft selbst. Es sind gerade solche Manager, denen es an Delegationsfähigkeit fehlt, die zu Mikro-Management neigen. Mikro-Managern mangelt es typischerweise an Selbstvertrauen. Solche Führungskräfte haben ein extrem ausgeprägtes Bedürfnis nach Sicherheit und Konstanz. Delegation bedeutet aber gerade Risiko, schließlich weiß man nie, was dabei herauskommt, wenn man anderen eine Aufgabe überträgt. Ist der Mikro-Manager gezwungen, Aufgaben zu delegieren, versucht er in der Regel, die entstehende Unsicherheit mit einem hohen Maß an Kontrolle zu kompensieren. Zudem spezifiziert er die Aufgaben, die er verteilt, auf das Genaueste, so daß sie möglichst exakt in seinem Sinne ausgeführt werden können.

          Doch nicht allein in der Persönlichkeit einer Führungskraft sind die Gründe für detailbesessenes Mikro-Management zu suchen. Es mehren sich vielmehr auch Einflüsse von außen, die Mikro-Management zunehmend als rationale Vorgehensweise erscheinen lassen. Viele Manager verbringen heute einen Großteil ihrer Arbeit damit, gesetzliche Auflagen zu erfüllen, was neudeutsch als "Compliance" bezeichnet wird. Besonders drastisch wird dies am Extrembeispiel des amerikanischen "Sarbanes-Oxley-Gesetzes" sichtbar, das solchen Unternehmen, die an einer amerikanischen Börse notiert sind, umfassende Auflagen zu Berichtswesen und Risikomanagement auferlegt. Die hiermit betrauten Manager werden für Fehler und Verstöße persönlich zur Rechenschaft gezogen, was im Extremfall sogar zu Gefängnisstrafen führen kann. Daß eine solche Arbeitssituation die Neigung zum Delegieren nicht gerade bestärkt, liegt auf der Hand.

          Aber auch in inhabergeführten Unternehmen findet sich das Phänomen häufig. Der Inhaber, nicht selten Gründer des Unternehmens, kennt seine Firma natürlich besser als sonst jemand und glaubt deshalb, Mikro-Management müsse der Führungsstil seiner Wahl sein. Dies führt in vielen Unternehmen dieses Typs zu einem stetigen Hineinregieren des Inhabers auch in Detailfragen - teils sogar über dessen Ruhestand hinaus. Die Folge: Vielfach ist die zweite Hierarchieebene eines inhabergeführten Unternehmens faktisch eine dritte Ebene, besetzt mit reinen Umsetzern ohne strategische Kompetenz.

          Die Folgen seines Mikro-Managements spürt zum einen der Mikro-Manager selbst. Sein Karriereweg ist tendenziell eher kurz, denn für den Aufstieg an die Spitze eines Unternehmens fehlen ihm wichtige Eigenschaften. Fragen, die mit Unsicherheit behaftet sind, sind seine Sache nicht, daher hat er auf dem Gebiet der Strategie große Schwächen. Mikro-Manager neigen zudem dazu, sich zu verzetteln, sind nicht in der Lage, Relevantes und Dringliches von weniger wichtigem zu trennen. Die gleichsam fehlende Fähigkeit und/oder Bereitschaft zum Delegieren führt geradezu zwangsläufig dazu, daß er es nach dem Motto "alles über meinen Tisch" stets mit mehreren Aufgaben gleichzeitig zu tun hat. So sitzt der Mikro-Manager bis tief in die Nacht an den vielen Aufgaben, häufig ohne sie alle bewältigen zu können. Am Ende eines häufig langen Arbeitstages ist er geschafft, hat aber nicht viel bewegt, jedenfalls nicht viel Wertschöpfendes. Mikro-Management geht daher häufig mit hoher Frustration der betreffenden Führungskraft einher.

          Mikro-Management führt aber nicht nur zu Arbeitsüberlastung des Mikro-Managers selbst, sondern auch zu Frustration nachgelagerter Hierarchiestufen. "Mikro-Manager können Hierarchien zerstören", sagt sogar Kienbaum-Berater Niermayer. Kreativität wird in einem Wust von Regularien erstickt, die Unternehmenskultur nimmt Schaden. Ein Mikro-Manager, der unter Umgehung seiner direkten Untergebenen in deren Beritt herumpfuscht, schwächt deren Glaubwürdigkeit und bringt die Hierarchie in ernste Rechtfertigungsnöte.

          Führung mittels Aufgabenerteilung und anschließender Kontrolle führt in aller Regel nicht dazu, daß das Potential an intrinsischer Motivation bei Mitarbeitern ausgeschöpft wird; statt Eigenverantwortlichkeit gibt es dann Dienst nach Vorschrift. Der Mikro-Manager bringt mit seinem Führungsstil permanent zum Ausdruck, daß er den Mitarbeitern und ihren Fähigkeiten nicht traut. Oder, in der Terminologie des Management-Theoretikers Douglas McGregor gewendet: Mikro-Manager sind extreme Anhänger der "Theorie X", nach der Mitarbeiter von Natur aus faul sind und Arbeit als ein notwendiges Übel ansehen, sie deshalb geführt und kontrolliert werden müssen, weil sie aus sich heraus nicht motiviert sind. "In Wahrheit sind solche Mikro-Führungskräfte aber vor allem von Selbstzweifeln geplagt", berichtet Felicitas von Elverfeldt, die als Coach arbeitet. Gerade der Führungsstil des Mikro-Managers führt aber zu noch weniger intrinsischer Motivation und damit Leistung. Dies wiederum bestärkt den Mikro-Manager in seiner Meinung über seine Mitarbeiter. Daß Mikro-Management durchaus eine selbstverstärkende Dynamik innewohnt, hat auch Kienbaum-Berater Niermayer beobachtet: "Wenn er seinen Mitarbeitern denn einmal größere Freiräume läßt, sind diese damit häufig überfordert." Denn das sind sie schlicht nicht gewohnt, nutzen die Freiräume also schlecht, und der Mikro-Manager ist in seiner Haltung bestätigt.

          Mikro-Manager ärgern ihre Mitarbeiter weiterhin, indem sie eine geringe Fehlertoleranz aufweisen, sie deshalb ständig korrigieren. Sie bestärken diese aber nicht in ihrem Tun und in ihrem Glauben an die eigenen Fähigkeiten. Teilweise werden Mitarbeiter aber auch schlicht verängstigt, wenn sie sich unter ständiger Beobachtung fühlen. Aus Sicht der Geführten ist weiterhin die mangelnde Fähigkeit des Mikro-Managers, Prioritäten zu setzen, zu beklagen. Folge ist eine Flut von Aufgaben, die über einen Mitarbeiter hereinbricht, ohne daß er deren Bedeutung beziehungsweise Dringlichkeit jeweils einschätzen kann. Dies wird, schenkt man Berichten Glauben, teils sogar absichtlich eingesetzt. Mikro-Management steht zumindest in den Vereinigten Staaten bereits im Verdacht, planmäßig gegen unliebsame Mitarbeiter eingesetzt zu werden. Die auf diese Art verursachte Überlastung und Verunsicherung der Mitarbeiter soll diese vergraulen, wenn sie nicht freiwillig gehen wollen.

          Auch wenn der so beschriebene Führungsstil in den meisten Fällen nicht zu Hochleistungsorganisationen führt, völlig obsolet ist er deshalb nicht. Denn es gibt durchaus Arbeitsplätze, in denen Mikro-Manager Idealbesetzungen darstellen. Im Controlling etwa oder in manchen Funktionen innerhalb von Projekten. Auch bei Fragestellungen, die mit "Null-Fehler-Toleranz" zu tun haben wie etwa das berühmte "Total-Quality-Management (TQM)" ist der Mikro-Manager in seinem Element.

          Verfügt das Unternehmen aber über mehr Mikro-Manager als über solche Aufgaben, wird es schwierig. Denn aus einem solchen Detailarbeiter wird nur sehr selten ein Stratege: "Die dahinterliegende Persönlichkeit kann man nur schwer ändern", sagt Kienbaum-Berater Niermayer. Wohl aber könne man dem Mikro-Manager den Blick dafür schärfen, welche seiner Tätigkeiten tatsächlich wertschöpfend seien. Es kann nach Auffassung des Kienbaum-Beraters für Führungskräfte sogar wichtig sein, sich zeitweise mit Kleinkram zu beschäftigen, um ein Gespür für das Tagesgeschäft zu bekommen. So wie etwa Steve Jobs.

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