Karrieresprung : Mit Goethe in die Wirtschaft
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Der Arbeitsmarkt für Absolventen der Geistes- und Sozialwissenschaften ist weniger eng als oft behauptet. Ein Berufsfeld auf dem Germanisten und Soziologen Vorteile haben: Professionelle Medienauswertung.
39 Prozent der Absolventen in den Geistes- und Sozialwissenschaften des Jahrganges 2001 fanden direkt nach ihrem Abschluß eine Beschäftigung in der Privatwirtschaft, wie eine bundesweite Befragung durch die Hochschul-Informations-System GmbH, Hannover, im Jahr 2004 ergab.
Ein Berufsfeld für Germanisten und Soziologen: Professionelle Medienauswertung. Bei der Observer Argus Media GmbH, einem Stuttgarter Unternehmen für Medienauswertung und Informationsdienstleistung, haben 80 Geisteswissenschaftler die bundesweite Berichterstattung im Blick.
Querlesen und schnelles Erfassen komplexer Texte
Die Freude am gedruckten oder gesprochenen Wort und die Vorliebe, sich konzentriert mit Texten auseinanderzusetzen, sind für Marianne Mäntele wichtige Voraussetzungen, die Geisteswissenschaftler für den Beruf des Medienauswerters mitbringen. „Geisteswissenschaftler haben das Querlesen und schnelle Erfassen langer und komplexer Texte erlernt“, erläutert die Lektoratsleiterin bei Observer, die selber ein Geschichtsstudium im Handgepäck hat.
„Ob Archäologe, Theologe oder Sprachwissenschaftler - sie passen auf Grund ihrer generalistischen Ausbildung ausgezeichnet in das Berufsbild des Lektors bzw. Medienauswerters.“ Deren Aufgabe bei Observer ist es, für rund 4.000 Kunden - aus Kommunikationsabteilungen und PR-Agenturen - Medienpräsenz und -image von Unternehmen, Produkten, Branchen oder gesellschaftlichen Themen zu recherchieren und zu analysieren.
Zwei bis drei Stunden für die F.A.Z.
Dazu werten sie rund 4.500 Quellen aus: Tageszeitungen, Magazine, Fachzeitschriften, Anzeigenblätter, Online-Medien sowie TV- und Radiosendungen. Allein die Lektoren für Printmedien fahnden nach rund 6.000 Suchprofilen, von der Stichwortsuche bis hin zu komplexen Themendefinitionen - etwa das Themenfeld „Diesel-Rußfilter“.
Jeder Auswerter recherchiert alle 6.000 Suchprofile in einer ihm zugeteilten Auswahl an Medien. Um das Pensum professionell zu schaffen, sind Zeiten vorgegeben: je zwei bis drei Stunden für die F.A.Z. und das Handelsblatt, 50 Minuten für eine regionale Tageszeitung, fünf bis zehn Minuten für den Lokalteil. „Zur Bewältigung ihrer Recherche benötigen unsere Mitarbeiter einen ausdauernden „Jagdinstinkt“ nach Treffern für ihre Kunden und eine Entscheidungsfreude, die von Pragmatismus geprägt ist“, so Mäntele.
Redaktionelle Fertigkeiten bei Medienauswertern gefragt
Neben dem schnellen und gezielten Auffinden der relevanten Beiträge müssen Medienauswerter auch redaktionelle Fertigkeiten mitbringen. Zum Beispiel, wenn sie die gefundenen Artikel, Radio- oder TV-Sendungen für den Kunden in Summaries zusammenfassen oder die gesamte Medienpräsenz des Tages in einem Management Report zusammenstellen - für internationale Unternehmen auch auf Englisch. „Hier sind Sprachgefühl gefragt sowie die Kompetenz, eine Fülle von Informationen sachgerecht zu strukturieren und auf den Punkt zu bringen“, so Christoph Schmid, Leiter der TV- und Hörfunkauswertung und selber Politologe und Philosoph.
Die weniger verschulte Ausbildung als Vorteil
Ein weiterer Trumpf von Geisteswissenschaftler ist ihre Selbstmotivation. In einer wenig verschulten Ausbildung haben sie gelernt, selbstständig Themengebiete zu erarbeiten und zu strukturieren. Bei Observer werden diese Fähigkeiten durch eine sechsmonatige Ausbildung intensiviert. Der angehende Medienauswerter verfeinert dabei seine Lese- und Memoriertechniken und lernt die Medien sowie den bestehenden Kundenstamm mit seinen individuellen Anforderungen in der Praxis kennen. „Zudem wird er darin ausgebildet, mit einem wichtigen Hilfsmittel für seine Arbeit umzugehen“, führt Lektoratsleiterin Mäntele aus. „Ein DV-System, das in einer sehr komplexen und ausgefeilten Verschlagwortung das gesamte Observer-spezifische Know-how über Kunden und Medien enthält.“
Ein hilfreiches Instrument, das die tägliche Arbeit unterstützt. Doch optimale Suchergebnisse werden nur im Zusammenspiel mit der Intelligenz des einzelnen Mitarbeiters erzielt, der nicht wie eine elektronische Suchmaschine Medien nach Begriffen durchscannt, sondern sich den Themen intellektuell nähert. Und genau das macht für Mäntele diese Tätigkeit so spannend.