Karrieresprung : Mein, dein, unser Schreibtisch
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Büroflächen sind teuer, die Arbeitsplätze von vielreisenden Beratern oder Vertriebsmitarbeitern meist verwaist. Warum also nicht teilen?
Wenn die Unternehmensberatung Accenture Anfang August ihren deutschsprachigen Hauptsitz von Sulzbach nach Kronberg verlegt, wird nicht mehr für jeden Mitarbeiter ein Schreibtisch aufgestellt. Einen fixen Arbeitsplatz haben in dem neuen Bürohaus lediglich die Angestellten aus Verwaltung, Organisation und Service. Die insgesamt 900 Berater teilen sich rund 250 Schreibtische.
„Sie verbringen ohnehin vier von fünf Tagen außer Haus beim Kunden“, begründet Oliver Vellage, Projektleiter des „Campus Kronberg“ bei Accenture. Die leeren Schreibtische sorgen nicht nur für eine verwaiste Atmosphäre im Büro, sondern werfen auch betriebswirtschaftlich Fragen auf. Vellage: „Durch Desk Sharing wollen wir ein Viertel der Betriebs- und Mietkosten für Büros einsparen.“ Dass das Prinzip funktioniere, habe die Erfahrung in zahlreichen Niederlassungen gezeigt.
Kein Konzept für alle Mitarbeiter
Auch Firmen wie Sun Microsystems oder IBM praktizieren bereits seit Jahren Desk Sharing. Bei „Big Blue“ arbeiten hierzulande 6.000 Mitarbeiter - immerhin 30 Prozent der Belegschaft - an wechselnden Schreibtischen. Einigkeit herrscht darüber, dass Desk Sharing kein Konzept für alle Mitarbeiter ist. Als Voraussetzung gelten: Häufige und regelmäßige Abwesenheit, wechselhafte Tätigkeiten in wechselnden Teams. Neben Beratern zählen dazu insbesondere Mitarbeiter aus Vertrieb und Service.
Für diese Büro-Nomaden gilt: Morgens den Rollcontainer mit den persönlichen Unterlagen zum Schreibtisch des Tages schieben, Notebook einstöpseln und abends den Tisch wieder säuberlich aufräumen. Foto von Frau und Kind inklusive. Büromaterialien sind an zentraler Stelle gelagert. Für wichtige Unterlagen stehen dem Mitarbeiter wenige Meter Schrankfläche zur Verfügung. Platz für Aktenberge ist da nicht mehr. Wozu auch? „Dank moderner Wissensmanagement-Systeme lässt sich heute alles auf dem Notebook archivieren“, meint Accenture-Projektleiter Vellage. Damit es morgens nicht zum Gerangel um die besten Plätze kommt, muss der mobile Mitarbeiter über ein webbasiertes System vorab einen bestimmten Arbeitsplatz buchen.
Zuckerl für den Verlust des Gewohnten
So schlüssig das alles klingt: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, der „am Territorium des eigenen Schreibtischs hängt“, sagt Wilhelm Glaser. Der Professor für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre an der Universität Tübingen begleitet die Einführung von Desk-Sharing-Projekten. Er weiß: „Man muss den Mitarbeitern etwas bieten, wo ihnen etwas genommen wird.“
Das können flexiblere Arbeitszeiten, eine neue technische Ausstattung oder ein optimales Arbeitsambiente sein. Die Mitarbeiter von IBM etwa entscheiden selbst, wann sie wo arbeiten - zuhause, beim Kunden oder im Büro. Die Zeiterfassung wurde abgeschafft, allein das Ergebnis zählt. Im Büro haben sie die Wahl zwischen einem Platz im Großraumbüro, „Klausur-Räumen“ für konzentriertes Arbeiten sowie Gruppenräumen für Besprechungen. Das gesamte Mobiliar ist neu und höhenverstellbar, eine gute Schalldämmung begrenzt den Geräuschpegel. Gemeinschaftszonen und Kaffee-Ecken sollen den Kontakt zwischen mobilen und permanent anwesenden Kollegen fördern.
Wechselnde Nachbarn, mehr Kontakte
Die Verbesserung der internen Kommunikation ist neben der Kostenersparnis ein wichtiges Ziel von Desk Sharing. Wer ständig neue Sitznachbarn hat, lernt die Kollegen besser kennen, was wiederum förderlich für die Teamarbeit ist. Das jedenfalls bestätigten die mobilen Mitarbeiter von IBM in einer begleitenden Umfrage des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Besonders positiv bewerten sie auch die Nähe zum Management, das in der Stuttgarter Hauptverwaltung mittlerweile auch in der Fläche sitzt. „Man sieht sich arbeiten“, schmunzelt ein Mitarbeiter.
Bei allem Geschmack, den die Mitarbeiter dem Konzept des geteilten Schreibtischs im Laufe der Zeit abgewinnen können: Bei der Einführung von Desk Sharing müsse sich ein Unternehmen erst mal auf eine „natürliche Gegenreaktion“ einstellen, weiß Jörg Kelter, Senior Scientist beim IAO in Stuttgart. Der Angst vor Veränderung liegt tief. „Das Vorgehen und die Vorteile des Konzepts müssen daher ausführlich und sensibel kommuniziert, die Mitarbeiter soweit als möglich an der Ausgestaltung beteiligt werden“, meint Kelter. Vor allem aber muss das Konzept vom Management getragen werden. Auf die Gefahr hin, dass das großräumige Einzelbüro damit bald passé ist.