Schon im Juli : Lauterbach will die Beitragssätze in der Pflege erhöhen
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Eine ältere Dame geht in einem Pflegeheim in Mecklenburg-Vorpommern mit ihrem Rollator über einen Flur. Bild: dpa
Wegen der hohen Defizite in der Pflegeversicherung sollen die allgemeinen Beiträge um 0,35 Prozentpunkte steigen. Kinderlose zahlen noch mehr als bisher. Einem Gesetzentwurf zufolge soll es aber auch Entlastungen geben.
Gesetzlich Versicherte und deren Arbeitgeber müssen sich nicht nur auf steigende Krankenkassenbeiträge einstellen, sondern auch auf höhere Abführungen zur Pflegeversicherung. Gemäß einem neuen Gesetzentwurf möchte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den Beitrag zur sogenannten Sozialen Pflegeversicherung zum 1. Juli dieses Jahres um 0,35 Prozentpunkte erhöhen. Die Belastung betrüge dann 3,40 Prozent für Eltern statt bisher 3,05 Prozent. Kinderlose zahlten künftig 0,60 Prozentpunkte mehr und somit 4,0 Prozent.
Bei der Ausdifferenzierung nach Kindern reagiert der Entwurf auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom April 2022, wonach der Erziehungsaufwand von Eltern stärker berücksichtigt werden muss. Deshalb will Lauterbach Eltern mit mehr als einem Kind um 0,15 Beitragssatzpunkte je Kind entlasten.
Außerdem ist geplant, das Pflegegeld, das pflegende Angehörige erhalten, zum 1. Januar 2024 um 5 Prozent zu erhöhen. Für Pflegedienste sollen die ambulanten Sachleistungsbeiträge zum selben Zeitpunkt ebenfalls um 5 Prozent steigen. Das geht aus einem Referentenentwurf des Ministeriums für ein „Gesetz zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege“ hervor, das der F.A.Z. vorliegt.
Eigenanteile im Heim sollen stärker begrenzt werden
Die stark steigenden Eigenanteile in der vollstationären Pflege will das Gesetz begrenzen. Dazu waren zum 1. Januar 2022 bereits Leistungszuschläge eingeführt worden, die aber nicht ausreichen. Sie sollen deshalb zum 1. Januar 2024 um 5 bis 10 Prozentpunkte anwachsen. „Mit dieser Maßnahme wird dem Trend zu steigenden Eigenanteilen noch stärker entgegengewirkt“, heißt es in dem Entwurf.
Die Novelle sieht auch vor, die Geld- und Sachleistungen in der Pflege im Einklang mit der Inflation automatisch zu erhöhen. Diese Dynamisierung soll zum 1. Januar 2025 und zum 1. Januar 2028 erfolgen.
Das Pflegeunterstützungsgeld will Lauterbach je Pflegebedürftigem auf 10 Arbeitstage je Kalenderjahr ausweiten. Es steht Arbeitnehmern zu, die sich kurzzeitig eine unbezahlte Freistellung im Beruf nehmen, um Angehörige zu versorgen. Des Weiteren werden die Leistungsbeträge für die Verhinderungs- und die Kurzzeitpflege zusammengelegt, sodass die Anspruchsberechtigten den Gesamtbetrag flexibel einsetzen können.
Das Ministerium möchte innovative Projekte stärker fördern, etwa Modellvorhaben zur Pflege in Wohnquartieren. Dazu stellt es 50 Millionen Euro im Jahr breit. Voraussetzung ist, dass die Länder oder die Kommunen denselben Betrag aufbringen. Das Förderprogramm zu „guten Arbeitsbedingungen in der Pflege“, das mit 100 Millionen Euro im Jahr dazu dient, die Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf zu verbessern, soll bis 2030 verlängert werden.
Mehrausgaben, aber auch Einsparungen
Gedacht ist auch an ein „Kompetenzzentrum Digitalisierung und Pflege“, um die Chancen neuer Techniken in der Langzeitpflege zu nutzen. Künftig müssen alle Pflegeeinrichtungen an die Telematikinfrastruktur zum digitalen Datenaustausch angebunden werden, bisher war die Vernetzung freiwillig. Es soll ein „elektronisches Informationsportal“ entstehen, mit dem alle Beteiligten freie Plätze und Angebote für die wohnortnahe ambulante oder stationäre Versorgung einsehen und melden können.
Vorgesehen ist zudem, die Feststellung der Pflegebedürftigkeit zu vereinfachen. Die „gewachsene Komplexität und Unübersichtlichkeit“ führten zu „Verständnisschwierigkeiten, Auslegungsfragen und Unsicherheiten“, heißt es in der Vorlage. Was genau verändert werden soll, bleibt unklar, doch gehe es darum, „verfahrens- und leistungsrechtliche Inhalte“ übersichtlicher voneinander zu trennen und die Rechtssicherheit zu erhöhen. Die Landesverbände der Pflegekassen werden verpflichtet, die Landesrahmenverträge zur pflegerischen Versorgung zu veröffentlichen, um die Transparenz zu erhöhen.
Die Mehrausgaben für die Neuerung beziffert der Entwurf für die Pflegeversicherung auf brutto 3 Milliarden Euro im Jahr. Dem stünden aber große Einsparungen entgegen. Da die Dynamisierung der Leistungsausgaben von 2024 auf 2025 verschoben wird, seien dann 3,2 Milliarden Euro weniger an Ausgaben nötig. Auch müssten die Kassen ihre monatlichen Raten für den Pflegevorsorgefonds im Jahr 2023 erst im folgenden Jahr zahlen, so dass sie einmalig 1,7 Milliarden Euro sparten – die sie freilich 2024 zusätzlich aufbringen müssen.
Die Anhebung des Beitragssatzes spüle den Versicherungen in diesem Jahr 3,15 Milliarden und vom kommenden Jahr an jährlich 6,6 Milliarden Euro in die Kassen. Das Geld diene „zur Stabilisierung der Finanzsituation der sozialen Pflegeversicherung sowie der Finanzierung der Leistungsanpassungen“. Der Entwurf verspricht trotz der steigenden Beiträge: „Die Bürgerinnen und Bürger werden umfangreich entlastet.“ Genauere Angaben fehlen. Die Wirtschaft werde einmalig mit 115 Millionen Euro und jährlich mit 20 Millionen Euro belastet, spare aber zugleich 177 Million Euro im Jahr.