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Konjunktur-Kommentar : Wir leben in einer Blütezeit

Die Konjunkturaussichten beginnen sich einzutrüben, heißt es. Doch müssen wir wirklich Angst vor einem Abschwung haben? Es gibt genügend Anzeichen, die das widerlegen.

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          In den Köpfen herrscht schon Krise. Obwohl es den Deutschen wirtschaftlich so gut geht wie nie, haben sie große Sorgen: Abstiegsängste und das Schreckgespenst der Digitalisierung plagen sie genauso wie die ernste Furcht, dass die Welt demnächst zusammenbricht. 40 Prozent halten die Gefahr eines dritten Weltkriegs heute für real, im Osten denkt das sogar mehr als jeder Zweite, wie die jüngste Erhebung des Instituts Allensbach für die F.A.Z. gezeigt hat. So düster waren die Prognosen zuletzt kurz nach dem 11. September 2001. Eigentlich läuft alles perfekt, aber so wird es nicht mehr lange bleiben.

          Diese Mischung aus Hoch- und Untergangsstimmung spiegelt sich eins zu eins in vielen Kommentaren zur Konjunkturentwicklung. Einerseits ist Deutschland erfolgreich in das neunte Wachstumsjahr in Folge gestartet. Volkswirte sprechen davon, dass Deutschland in die Phase der Hochkonjunktur eingetreten sei. Die Löhne steigen, die Arbeitslosigkeit setzt ihren Sinkflug auch 2018 fort, obwohl nach und nach immer mehr Flüchtlinge in der Statistik auftauchen. Die Menschen geben mehr Geld aus, und auch die Exportunternehmen können sich nicht über fehlende Aufträge beschweren.

          Ziehen wirklich Wolken auf?

          Andererseits ist jetzt immer häufiger von „Wolken am Konjunkturhimmel“ die Rede. Es mehren sich die Anzeichen für eine schwächere Phase. Die Stimmung in den Unternehmen trübt sich seit Jahresbeginn etwas ein, zeigt der aussagekräftige Ifo-Index. In den ersten drei Monaten ist die Volkswirtschaft nur um 0,3 Prozent gewachsen, nach 0,6 Prozent im Vorquartal. Die Statistiker begründen das vor allem mit einem etwas schlechteren Auslandsgeschäft. Aber auch die schwere Grippewelle, die zu Jahresbeginn viele Beschäftigte ans Bett fesselte, und andere Sondereffekte dürften eine Rolle gespielt haben.

          Bei nüchterner Betrachtung ist die jüngste Entwicklung nicht mehr als eine Delle, die ganz normal ist für einen Konjunkturverlauf, der bekanntlich nie linear ist. Alle Lebensadern, die die deutsche Wirtschaft seit der Finanzkrise hat wachsen lassen, sind weiterhin gut durchblutet: In den Vereinigten Staaten, China und den übrigen Euroländern geht es kontinuierlich bergauf, die Zinsen verharren niedrig, und trotz des wachsenden Fachkräftemangels gilt der Arbeitsmarkt als gesund. Von einer Überhitzung, in der die Preise nach oben schießen und sich durch Fehlinvestitionen Überkapazitäten aufbauen, kann keine Rede sein. Lediglich in einzelnen Branchen, zum Beispiel im Handwerk und Bau, sind die Unternehmen längst an ihren Grenzen angelangt, was jeder zu spüren bekommt, der versucht, einen Elektriker oder Dachdecker zu bestellen.

          Was der Angst vor einem bevorstehenden Abschwung Leben einhaucht, sind die vielen Krisenherde auf der Welt, die immer unübersichtlicher werden. Im Wochentakt eröffnet Donald Trump einen neuen: Nordkorea, Iran, Russland und aus wirtschaftlicher Sicht natürlich vor allem die Handelskonflikte mit China und Europa. Dieser Cocktail schürt in den Köpfen der Deutschen die Angst vor neuen Kriegen; und in den Konjunkturprognosen die Sorge vor einer Rezession.

          All das ist brandgefährlich, aber wirtschaftlich kann vorerst Entwarnung gegeben werden. Sollten die Krisen nicht auf fatale Weise eskalieren, werden sie die deutsche Wirtschaft nicht tiefgreifend treffen. Die aktuell drohenden Zölle in Amerika auf Stahl und Aluminium wären ein Ärgernis, aber keine Bedrohung für das deutsche Wirtschaftswunder. Erst bei einem echten Handelskrieg würde sich das ändern. Der Aufschwung ist viel robuster als oft prophezeit. Schon nach dem überraschenden Brexit-Votum und während der militärischen Auseinandersetzung in der Ukraine malten Fachleute den Teufel an die Wand. Gekommen ist es in beiden Fällen anders. Die deutsche Industrie mit ihren wichtigsten Sparten Maschinenbau und Autoindustrie ist derart gut aufgestellt, dass sie einzelne Schocks nicht bremsen können. Produkte „Made in Germany“ sind im Ausland nach wie vor heiß begehrt, Diesel-Betrug hin oder her.

          Die Blüte birgt eine Gefahr

          Falsch wäre es nun, in dieser Blütezeit die Hände in den Schoß zu legen. In der Politik ist diese Gefahr ungleich größer als in den seit Jahren erfolgreichen Unternehmen. Es ist zwar ermutigend, dass Kanzlerin Merkel in ihrer Haushaltsrede im Bundestag stark auf das Thema Digitalisierung und Künstliche Intelligenz abgezielt hat, doch nun müssen Taten folgen. Erst kürzlich haben führende Forscher aus dem Bereich der Zukunftstechnologien in dieser Zeitung davor gewarnt, dass Deutschland nicht genug für die wichtige Grundlagenforschung tut. Hier gilt es anzusetzen.

          Tatkraft wünscht man sich jetzt auch von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Auch er hat im Bundestag am Donnerstag von der hervorragenden Verfassung der deutschen Wirtschaft geschwärmt und angekündigt, in seinem Ministerium den Schwerpunkt auf Forschung und Entwicklung zu legen. „Ein Haushaltsentwurf ist immer auch ein Zukunftsentwurf“, sagt Altmaier. Damit hat er recht, mit Inhalten gefüllt ist so ein Entwurf dadurch aber noch lange nicht. Wann, wenn nicht jetzt, ist es an der Zeit, das zu ändern?

          Johannes Pennekamp
          Verantwortlicher Redakteur für Wirtschaftsberichterstattung.

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