Irland : Das goldene Zeitalter des keltischen Tigers
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Jahrhundertelang war Irland das Armenhaus Europas. Von der „Großen Hungersnot“ Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu den Auswanderungswellen der 50er und 60er Jahre - die Insel war gleich bedeutend mit Elend und Rückständigkeit. Und so reiben sich irische Emigranten noch immer die Augen, wenn sie heute nach Jahren oder gar Jahrzehnten wieder in ihre Heimat zurückkehren: Es regnet noch immer so viel wie früher - aber sonst erkennen sie ihr Land kaum wieder. Die grüne Insel erlebt ihr „Goldenes Zeitalter“.
In Dublin funkeln die Glaspaläste amerikanischer Computerfirmen und die Appartement-Blocks am Wasser. Die jährliche Wachstumsrate in Irland liegt zwischen sieben und zehn Prozent. Die Arbeitslosenquote ist seit Mitte der 80er Jahre von 15 auf 5 Prozent gesunken. Jedes vierte Unternehmen sucht neue Mitarbeiter. Die Computerfirma Dell bietet ihren 3.400 Beschäftigten jede Woche eine Gratis-Lotterie mit Fernsehgeräten, Urlaubsreisen und Autos als Preisen - nur damit bloß keiner zur Konkurrenz abwandert. Die lockt nämlich mit kostenlosen Massagen.
Zahllose Generationen von Iren sind nach England gezogen, um Arbeit zu finden - doch jetzt kommen Engländer, Schotten und Waliser nach Irland. Der einstige „Hinterhof des Empire“ liegt nicht mehr länger im Schatten seines großen Nachbarn: Als Irland 1973 der Europäischen Union beitrat, wickelte es noch 80 Prozent seines Außenhandels mit dem Vereinigten Königreich ab - jetzt sind es etwa 25 Prozent. In einigen Jahren wird das Pro-Kopf-Einkommen in Irland höher sein als in Großbritannien.
International erfolgreiche irische Popbands wie „Boyzone“ und „U2“ verkörpern das neue Selbstbewusstsein. Irland ist trendy - Hollywoodstars wie Tom Cruise und Julia Roberts haben hier ihre Feriendomizile. Die Hauspreise gehören zu den höchsten in der EU. Sie steigen jedes Jahr um etwa 30 Prozent, in einigen Vierteln von Dublin sogar um 50 Prozent.
Den Anstoß zum Erwachen des „keltischen Tigers“ gaben die Milliarden an EU-Subventionen, die in den 70er und 80er Jahren ins Land flossen. Dazu kamen die niedrigsten Körperschaftssteuern in der EU und die gut ausgebildeten, englischsprachigen Arbeitskräfte, die zumindest zu Beginn des irischen Wirtschaftswunders auch mit niedrigen Löhnen zufrieden waren. Dies lockte amerikanische High- Tech-Firmen wie Gateway und IBM auf die grünen Wiesen bei Dublin. Das Karfreitagsabkommen von 1998 entschärfte schließlich auch die politische Dauerkrise im nördlichen, britischen Teil der Insel.
Bei all dem ist es kein Wunder, dass die EU in kaum einem anderen Staat so hohes Ansehen genießt. 75 Prozent der Iren halten die EU- Mitgliedschaft für eine „gute Sache“, 63 Prozent unterstützen den Euro. Für britische Euro-Gegner dagegen ist Irland das Paradebeispiel dafür, dass eine Einheitswährung unmöglich den Bedürfnissen so unterschiedlicher Länder wie etwa Deutschland und Irland gerecht werden kann: Dem boomenden Irland wäre mit höheren Leitzinsen gedient, aber gegen die Interessen der Großen kann der 3,6 Millionen Einwohner-Staat nichts ausrichten. Der sich anbahnende Konflikt zwischen Brüssel und Dublin spielt den britischen Konservativen darum direkt in die Hände.