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Inflation : Die Zinswende

Viele große Kapitalanleger sind durch ihr Geschäftsmodell oder durch Regulierungen gezwungen, Staatsanleihen mit sehr guter Bonität aus dem Euroraum zu erwerben. Bild: dpa

Am Kapitalmarkt steigen die Renditen, weil die Inflation allmählich zu einem Thema wird. Dabei wenden sich immer mehr Anleger sich von Staatsanleihen ab und suchen Alternativen.

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          An den Märkten für Staatsanleihen mit langen Laufzeiten sind die Renditen unerwartet deutlich gestiegen. Dies gilt nicht zuletzt für den Euroraum, wo eine zehnjährige Bundesanleihe vor zwei Wochen mit 0,07 und am Donnerstag mit vorübergehend 0,70 Prozent rentierte. Der Renditeanstieg lässt sich in anderen Teilen Europas ebenso beobachten wie in Übersee. Ein globales Phänomen benötigt eine globale Erklärung.

          Es liegt nahe, den Anstieg der Renditen mit einer sich verändernden Wahrnehmung des Themas Inflation zu verbinden. Der starke Rückgang der Anleiherenditen in den Vormonaten war durch die im Zuge des einbrechenden Ölpreises sinkenden Inflationsraten befördert worden. Rund um den Globus hatten zwischen Dezember 2014 und März 2015 fast zwei Dutzend Zentralbanken mit Verweis auf die Gefahr einer Deflation ihre kurzfristigen Leitzinsen gesenkt. In der Öffentlichkeit fand eine ausgiebige Diskussion des Themas Deflation statt.

          Der Ölpreis sinkt aber schon seit Januar nicht mehr; stattdessen steigt er seitdem. Das Thema Deflation ist aus den Debatten verschwunden. Stattdessen beginnen Ökonomen, in ihren Prognosen der Wirtschaftsentwicklung langsam zunehmende Inflationsraten zu berücksichtigen. Das Ziel der Europäischen Zentralbank, die Inflationsrate allmählich auf das erwünschte Niveau von knapp 2 Prozent zu bringen, erscheint nicht länger sehr fern liegend. Zu einer sich allmählich beschleunigenden Geldentwertung passen keine sinkenden Anleiherenditen, sondern steigende. Insofern ist die aktuelle Entwicklung an den Anleihemärkten ökonomisch herleitbar, auch wenn sich viele Marktteilnehmer erstaunt zeigen.

          Das Erstaunen erklärt sich mit einer Überschätzung des Einflusses der Geldpolitik auf die Renditen am Kapitalmarkt. Die Zentralbank hat mit der Festlegung ihres Leitzinses einen unmittelbaren Zugriff auf die Zinshöhe am Geldmarkt, dem Markt für kurzfristige Kredite. Auf den langfristigen Kapitalmarktzins wirken jedoch viele Einflüsse ein: das erwartete Wirtschaftswachstum, das Spar- und Investitionsverhalten, die erwartete Inflationsrate und Erwartungen über die künftige Bonität eines Schuldners. Die Zentralbank hat keine Möglichkeit, alle diese Größen zu steuern. Sie wirkt sehr wohl auf den langfristigen Kapitalmarktzins ein, aber sie hat ihn nicht vollständig unter Kontrolle.

          Anleger wenden sich von Staatsanleihen immer mehr ab

          Überschätzt werden häufig auch die langfristigen Folgen von Anleihekäufen einer Zentralbank für die Rendite am Kapitalmarkt. In den Vereinigten Staaten, in Großbritannien und in Japan ließ sich beobachten, dass die Renditen sanken, als die Zentralbanken dieser Länder Käufe von Anleihen ankündigten. Als die Zentralbanken dann tatsächlich kauften und im Gegenzug viel neues Geld produzierten, stiegen die Renditen eher. Dieses Muster lässt sich auch im aktuellen Fall der Europäischen Zentralbank beobachten.

          Die Idee, dass eine Zentralbank mit ihren Käufen die Kurse von Anleihen steigert und damit die Renditen senkt, beruht auf der Annahme, dass die Zentralbank als zusätzlicher Nachfrager am Anleihemarkt auftritt. Unterschätzt wird, dass die Zentralbank andere Käufer vertreibt, die nicht daran interessiert sind, Anleihen zu künstlich überhöhten Kursen zu kaufen. Dadurch verliert die Nachfrage der Zentralbank an Wirkung.

          Natürlich vertreibt eine Zentralbank nicht alle anderen Käufer. Viele große Kapitalanleger sind durch ihr Geschäftsmodell oder durch Regulierungen gezwungen, Staatsanleihen mit sehr guter Bonität aus dem Euroraum zu erwerben. Es sind nicht zufällig Repräsentanten solcher Anleger, die seit Wochen das Kaufprogramm der Europäischen Zentralbank hart kritisieren. Daneben gibt es viele Anleger, die sich als Folge eines Herdentriebs oder aus Bequemlichkeit darauf beschränken, Staatsanleihen und Pfandbriefe aufeinanderzustapeln.

          Aber eine wachsende Zahl von Anlegern wendet sich von Staatsanleihen immer mehr ab und anderen Anlageformen zu. Dies gilt zum Beispiel für Staatsfonds und Zentralbanken. Eine wachsende Zahl von Zentralbanken investiert einen Teil ihrer Währungsreserven in Aktien. Renditeorientierte Staatsfonds, aber auch Pensionskassen, Family Offices und größere Stiftungen reduzieren Anleihebestände und investieren in Aktien oder andere reale Anlagen wie Immobilien und Infrastruktur. Es ist nicht einzusehen, warum ein Anleger freiwillig eine zehnjährige Bundesanleihe mit einer Rendite von 0,07 Prozent kaufen soll, wenn er mittelfristig eine Inflationsrate von rund 2 Prozent erwartet. Ebenso ändern viele Privatanleger zumindest vorsichtig ihre Strategie. Es ist kein Zufall, dass die Nachfrage nach Mischfonds, die Aktien und Anleihe verbinden, ebenso zunimmt wie die Nachfrage nach Multi-Asset-Fonds, die noch mehr verschiedene Anlageprodukte miteinander kombinieren.

          Die Renditen werden nicht in den Himmel klettern. Die Inflationsrate dürfte langsam steigen, aber eine Hochinflation ist nicht einmal am Horizont erkennbar. Es spricht aber einiges dafür, dass negative Renditen am Kapitalmarkt eine Ausnahme bleiben und kein Dauerthema werden.

          Gerald Braunberger
          Herausgeber.

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