Corona-Pandemie in Indien : Die Armen bleiben, die Reichen fliehen mit dem Privatjet
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Für sie geht es nicht weiter: Die indischen Reisenden sind an einem Busbahnhof in Bengaluru gestrandet. Die Reichen fliegen mit ihren Jets in die Golfregion. Bild: dpa
Die Corona-Welle trifft das Milliardenvolk auch wirtschaftlich äußerst hart. Die Unterschiede in den sozialen Schichten werden überdeutlich: Die Reichen verlassen das Land, die Armen können die Impfstoffe nicht bezahlen.
Immer mehr Hilfslieferungen insbesondere von Sauerstoff treffen in dem unter der Corona-Pandemie leidenden Indien ein. Zugleich aber werden die Fragen lauter, was schiefläuft und was die indische Regierung nun tun kann, um ihre Fehler noch auszugleichen. Derweil versuchen sich betuchte Inder auch mit Privatflügen in Sicherheit zu bringen.
Alle Vorhersagen für eine große Erholung von Asiens drittgrößter Volkswirtschaft sind derzeit Makulatur: Nach einem Wegschmelzen um 8 Prozent im vergangenen Jahr sollte Indiens Wirtschaftskraft in diesem Jahr wieder um 11 Prozent im Vergleich zum Vorjahr wachsen, erwartet die Asiatische Entwicklungsbank (ADB). „Aber es gibt dieses Risiko, das auch Implikationen für ganz Südasien birgt“, sagt Chefvolkswirt Yasuyuki Sawada mit Blick auf die Corona-Welle. Die Ratingagentur Standard & Poor’s warnt vor „Betriebsunterbrechungen“ und „Abwärtsrisiken für das Bruttoinlandsprodukt“. Kurz: „Die anschwellende zweite Welle ist ernst.“
Auch Deutschland schickt Hilfsgüter
Der frühere Finanzminister Palaniappan Chidambaram rief die Menschen auf, gegen die Regierung „zu revoltieren“, weil diese sie „für Narren hält“. Er bezog sich damit auf über die indischen Medien verbreitete Äußerungen von Gesundheitsminister Harsh Vardhan, dass Indien „über ausreichend Sauerstoff“ verfüge. Die Wirklichkeit sieht anders aus, und immer mehr Länder, unter ihnen Deutschland, Singapur und Australien, liefern Hilfsgüter auf den Subkontinent. Gleichzeitig schließen sie allerdings ihre Grenzen für Inder, um ihre eigene Bevölkerung vor einer Ansteckung zu schützen. Indien ist mit offiziell mehr als 18 Millionen Corona-Infektionen das nach Amerika am schlimmsten getroffene Land. Mediziner gehen von einer enormen Dunkelziffer aus.
Anbieter von Charterflugzeugen sprechen inzwischen von einer „vollkommen verrückten Nachfrage“ – Wohlhabende investieren 50.000 Euro in einen Privatflug für die Familie, der aus dem Land führt. Ziele sind insbesondere Dubai und die Malediven, die inzwischen ihre Grenzen aber auch schließen – so wie Australien, Großbritannien, Hongkong, Singapur oder die Vereinigten Arabischen Emirate.
Apotheke der Welt kann eigenes Volk nicht versorgen
Längst ist Indien, dass sich selbst aufgrund seiner Großproduktion von Impfstoffen als „Apotheke der Welt“ bezeichnet, im eigenen Land an seine Grenzen gestoßen. Die beiden Hersteller der zwei zugelassenen Impfstoffe haben angekündigt, dass sie Indern für die Dosen höhere Preise abverlangen als Menschen in Europa. Weltmarktführer Serum Institute of India (SII), das den Astra-Zeneca-Impfstoff Covishield fertigt, verkauft ihn für 5 Dollar an die indischen Landesregierungen, für 8 Dollar an private Krankenhäuser. Konkurrent Bharat Biotech nimmt für Covaxin 8 und 16 Dollar (13,25 Euro). Mit knapp 2000 Rupien (22,15 Euro), die ein Inder auf dem Land im Durchschnitt monatlich für den Konsum ausgibt, sind solche Preise für eine Familie unbezahlbar. Die meisten Länder der Erde impfen ihre Bürger auf Kosten des Steuerzahlers. Auch erste Bundesstaaten in Indien bieten kostenlose Impfungen.
Das aber führe, so kritisieren immer mehr Inder, zu sehr ungleichen Verhältnissen für die Bürger. Die Hersteller begründen die hohen Preise damit, dass die Zentralregierung es über Monate versäumt habe, ausreichend Impfstoffe für das eigene Land zu bestellen. Im besten Fall ging sie davon aus, dass die Pandemie besiegt sei, wie sich Ministerpräsident Narendra Modi rechtfertigt. Zugleich verteilte Indien aber Impfstoffe im Ausland, um Pekings Impfdiplomatie zu kontern. Am Mittwochabend verkündete SII-Chef Adar Poonawalla dann einen Nachlass von umgerechnet einem Euro auf 300 Rupien auf Covishield – als „philanthropische Geste“.
Ausländer haben Schwierigkeiten, aus dem Land zu kommen. Wer einen Unfall erleidet oder operiert werden muss, muss fürchten, kein Krankenhausbett mehr zu bekommen. Bosch hat ein Nothospital auf seinem Betriebsgelände in Bangalore mit 70 Betten eingerichtet. Delhi stellte seine Krankenhäuser unter Polizeischutz. „Die derzeitige Welle ist extrem gefährlich und ansteckend, und die Kliniken sind überlastet“, sagte Delhis Verwaltungschef Arvind Kejriwal.
Viele der Unternehmen, etwa im wirtschaftlichen Kraftzentrum Maharashtra mit seiner Metropole Bombay (Mumbai) und der Industriehauptstadt Pune, wo auch viele deutsche Unternehmen sitzen, arbeiten nur noch mit Notbesetzungen. Indische Unternehmen wie die Tata Gruppe, Reliance Industries Limited oder ITC bemühen sich nach Kräften, Krankenhäuser mit Sauerstoff und Maschinen zu versorgen.