Verbraucherpreise : Eurozone geht auf negative Inflation zu
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EZB-Präsidentin Christine Lagarde Bild: EPA
Die fallenden Energiepreise freuen Verbraucher. Doch sie senken auch die Inflation in der Eurozone – schon im Juni könnte sie negativ werden. Wird das ein Problem für die Geldpolitik?
Während die Inflationsrate für die Eurozone im Mai noch ganz knapp im Positiven lag, bei 0,1 Prozent, ist sie in vielen Mitgliedsländern der Währungsunion längst negativ. Das geht aus Zahlen der Statistikbehörde Eurostat hervor, die am Mittwoch veröffentlicht wurden. In 12 von 19 Eurostaaten hat die Inflationsrate demnach im Mai unter null gelegen. Besonders stark fielen die Preise in Estland (minus 1,8 Prozent), Luxemburg (minus 1,6 Prozent) und Zypern (minus 1,4 Prozent). Deutschland liegt, gemessen am sogenannten Harmonisierten Verbraucherpreisindex, mit 0,5 Prozent eher im oberen Bereich.
Die Unterschiede in den Inflationsraten hängen offenbar zu wesentlichen Teilen mit einem unterschiedlichen Preisverfall für Energie zusammen. Über die ganze Eurozone betrachtet, war das der einzige Posten, bei dem die Preise im Mai kräftig gefallen sind, und zwar um 11,9 Prozent. In Deutschland wurde der Rückgang nur mit 8,5 Prozent beziffert.
Steffen Bukold vom Beratungsunternehmen Energy Comment meint, dabei könnte eine Rolle spielen, dass der Anteil der fixen Komponenten wie Abgaben und Steuern an den Energiepreisen in den Ländern unterschiedlich sei; beispielsweise beim Benzinpreis ist das so. Das könnte dazu geführt haben, dass sich Marktpreisänderungen relativ gesehen unterschiedlich stark bemerkbar machten. Es gebe aber auch sonst große Unterschiede in den verschiedenen Euroländern bei den Verbraucherpreisen vor allem für Strom und Gas.
Schon für Juni könnte die Euro-Inflation negativ werden
Schon im Juni dürfte die Inflation für den Euroraum insgesamt negativ werden und das werde bis Mai 2021 so bleiben, prognostiziert der Ökonom Karsten Junius von der Bank Sarasin. „Dafür sprechen viele Preise auf der Vorproduktebene, wie die Entwicklung der bislang für April vorliegenden Erzeugerpreise mit minus 4,5 Prozent sowie die mit minus 1 Prozent im April ebenfalls negativen Importpreise“, sagte Junius. Auch die Erwartungen für die Verkaufspreise („Selling price expectations“) seien Umfragen zufolge in allen Wirtschaftsektoren (Retail, Construction, Industry, Services) im Mai negativ gewesen.
Einen Sondereffekt stelle dabei die Mehrwertsteuersenkung in Deutschland im Juli dar, sagte Junius. Rein rechnerisch könnte sie die Inflationsrate in Deutschland um 1,5 Prozentpunkte drücken, die Euro-Inflationsrate gemäß dem deutschen Anteil um 0,4 Prozentpunkte. Junius jedenfalls rechnet für den Euroraum mit minus 0,2 Prozent Inflation im Juni, für Juli mit minus 0,4 Prozent und zum Jahresende mit minus 0,8 Prozent.
„Das ist eine deutlich niedrigere Inflation, als die EZB in ihren letzten Projektionen mit 0 Prozent für das vierte Quartal 2020 veröffentlicht hat“, sagte Junius. „Allerdings konnte die EZB die deutsche Mehrwertsteuer in ihren Projektionen noch nicht berücksichtigen.“
Muss man sich vor Deflation sorgen?
Wird das zum Problem für die Geldpolitik? Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt eine Inflationsrate von „unter aber nahe 2 Prozent“ an. Theoretisch könnten bei negativen Inflationsraten Deflationsängste aufkommen – also die Sorge, dass Verbraucher kaum Geld ausgeben, weil sie mit weiter sinkenden Preisen rechnen. Aber insbesondere der Effekt der sinkenden Mehrwertsteuer in Deutschland ist ja gewollt und ausdrücklich befristet:
Das müsste eigentlich die Leute eher anregen zu kaufen, als Anschaffungen aufzuschieben. In einem Möbelhaus berichtete der Verkäufer am vergangenen Samstag denn auch, man habe die Preise sogar jetzt schon gesenkt, damit nicht alle Kunden ihre Möbelkäufe bis zum 1. Juli aufschöben. Über einen entsprechenden bundesweiten Trend habe man allerdings keine Informationen, sagte ein Sprecher des Handelsverbands HDE.
„Die Geldpolitik kann das getrost ignorieren“, meinte Holger Schmieding, der Chefvolkswirt des Hamburger Bankhauses Berenberg: „Mit echter Deflation hat das nichts zu tun.“ Die Furcht, bei einer Deflation könnten rückläufige Preise dazu führen, dass Verbraucher sich zurückhielten, um auf noch niedriger Preise zu warten, sei hier völlig unbegründet. Stattdessen werde es eher Vorzieheffekte geben. Auch die Sorge, Kreditnehmern könnte es bei fallenden Preisen und Einkommen schwerer fallen, ihre Kredite zu bedienen, treffe hier nicht zu, meinte Schmieding: „Stattdessen werden die Realeinkommen der Unternehmen und Haushalte ja eher gestärkt.“
Auch die Fondsgesellschaft Quant Capital Management befasste sich am Mittwoch mit dem Thema unter der Überschrift: „Auf dem Weg in die Deflation“? Sie verweist vor allem auf die sinkenden Großhandelspreise und die nur marginal steigenden Verbraucherpreise. „Einen so ausgeprägten Rückgang der Großhandelspreise sahen wir zuletzt während der großen Finanzkrise 2008/2009“, sagte Geschäftsführer Ivan Mlinaric. Er nannte zudem die Möglichkeit, Rabattschlachten könnten jetzt die Preise weiter fallen lassen.
Gleichwohl führt er gegen die These von der Deflation an, dass sich die Inflation mit dem Anziehen der wirtschaftlichen Tätigkeit wieder beschleunigen werde. Auch die gewaltigen konjunkturellen und geldpolitischen Hilfsprogramme stemmten sich der Krise entgegen. „Wir gehen davon aus, dass sowohl die Energiepreise als auch die Nachfrage ihr vorläufiges Tal gefunden haben und sich die Deflationsspirale nicht in Gang setzen wird.“