Metall-Arbeitnehmer : Arbeitnehmer wollen mehr Freizeit statt mehr Geld
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Die IG Metall hatte für die neue Arbeitszeitregelung gestreikt. Bild: EPA
Mehr Geld oder mehr freie Tage? Die Bahn hat ihre Mitarbeiter schon wählen lassen. Nun dürfen das auch die Metaller. Ihr Votum ist unerwartet klar.
Mehr Freizeit ist vielen Arbeitnehmern derzeit offenbar wichtiger als zusätzliches Geld. Das gilt nicht nur für die Deutsche Bahn, die ihren Beschäftigten schon vor zwei Jahren eine entsprechende Wahlmöglichkeit eingeräumt hatte. Es gilt nun auch für den großen Bereich der Metall- und Elektroindustrie, wie eine am Montag vorgestellte Auswertung der IG Metall zu deren jüngstem Tarifabschluss mit den Arbeitgebern zeigt. Unter den insgesamt knapp 2 Millionen Metallern in tarifgebundenen Betrieben haben demnach bis Ende Oktober mehr als 200.000 die neu eingeführten Ansprüche auf zusätzliche Freizeit geltend gemacht. Unter ihnen sind allein mehr als 140.000 Schichtarbeiter, wie die durch eine Betriebsrätebefragung ermittelten Zahlen zeigen.
„Ganz offensichtlich entsprechen die neuen Möglichkeiten zur Selbstbestimmung bei der Arbeitszeit den konkreten Bedürfnissen der Beschäftigten“, fasste der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann die Zwischenbilanz zusammen. „Wir haben damit den Nerv der Zeit getroffen.“ Wenig begeistert reagierten die Arbeitgeber, so etwa deren Verband Nordmetall – der nun vielmehr die schon in der Tarifrunde im Frühjahr geäußerten Warnungen vor Produktionsengpässen bestätigt sieht. „Wer immer mehr teure Auszeiten organisiert, ohne zu sagen, wie diese Lücken personell und finanziell gestopft werden sollen, schädigt den Standort Deutschland nachhaltig“, warnte Nordmetall-Hauptgeschäftsführer Nico Fickinger. „Dann wird die Arbeit dorthin abwandern, wo sie gemacht werden kann.“
Der neue Tarifvertrag eröffnet Metallern zwei Wege zu mehr Freizeit: Zum einen haben damit alle eine Option, ihre Wochenarbeitszeit von üblicherweise 35 Stunden für bis zu zwei Jahre auf 28 Stunden zu verkürzen, ohne den Anspruch auf ihre Vollzeitstelle zu verlieren. In diesem Fall sinkt der Monatslohn um den entsprechenden Prozentsatz. Zum anderen wurde anstelle einer regulären Lohnerhöhung ein neues jährliches „Zusatzgeld“ eingeführt, welches zunächst alle Beschäftigten bekommen können. Doch erhielten Metaller mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen sowie Schichtarbeiter ein Recht, dieses Zusatzgeld gegen acht freie Tage einzutauschen. Das Zusatzgeld beträgt 27,5 Prozent des Bruttomonatslohns und damit etwa für Facharbeiter in Baden-Württemberg 1200 Euro.
Stellen Arbeitgeber jetzt mehr ein?
Die neue Zahlen der IG Metall stützen sich auf Befragungsergebnisse aus 1400 von 2800 Betrieben; für die anderen lägen noch keine Daten vor. Unter ersten 1400 seien allerdings viele große Arbeitgeber. Im einzelnen ermittelte die Gewerkschaft auf dieser Grundlage, dass neben den 140.000 Schichtarbeitern weitere 40.000 Beschäftigte mit Kindern sowie 10.000 Metaller mit pflegebedürftigen Angehörigen die acht freien Tage anstelle des Zusatzgelds wählten. Außerdem zählte sie bisher 8000 Anträge auf befristete Wochenarbeitszeitverkürzung.
Unklar ist bislang, in welchem Umfang sich Arbeitgeber auf Schutzklauseln gegen Personalnot berufen. Der Tarifvertrag sieht vor, dass sie im Gegenzug mehr Personal mit 40-Stunden-Verträgen einstellen dürfen, um kein Arbeitsvolumen zu verlieren. Falls das nicht klappt, dürfen sie Freizeitanträge auch ablehnen. Die Arbeitgeberverbände werfen der IG Metall vor, ihre Mitglieder kaum über diese Klausel zu informieren – mit der Folge, dass Ablehnungen leicht für böses Blut sorgten. Hofmann deutete indes Überlegungen an, die Freizeitansprüche in kommenden Tarifrunden noch auszuweiten.
Ein Grund für das starke Interesse an Freizeit könnte sein, dass die Metaller mit jährlich 55000 Euro Durchschnittslohn recht weit oben auf der Verdienstskala stehen. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall schloss daraus: „Ganz offensichtlich spielt der Wunsch nach einem höheren Einkommen nicht mehr die zentrale Rolle – was wir für kommende Tarifrunden interessiert zur Kenntnis nehmen.“
Die Deutsche Bahn hatte in ihrer Tarifrunde 2016 ein ähnliches Wahlmodell vereinbart. Damit konnten die Beschäftigten anstelle einer Gehaltserhöhung um 2,6 Prozent weitere sechs Urlaubstage oder eine Arbeitszeitverkürzung von 39 auf 38 Stunden wählen. Dort entschieden sich 58 Prozent der Mitarbeiter für die freien Tage und 40 Prozent für Geld. Die Bahn wertet ihr Modell als Beitrag zur Mitarbeiterbindung und ist grundsätzlich bereit, derlei in auch in der gerade laufenden neuen Tarifrunde aufzugreifen – wegen wachsender Personalengpässe aber lieber mit anderen Optionen als mehr Freizeit.