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Frankfurter Zeitung 1.4.1923 : Der Kampf um die Macht in Bayern

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Der erste Reichsparteitag der NSDAP in München vom 27. bis 29. Januar 1923. Bild: Picture Alliance

Die Politik der Duldung der nationalsozialistischen Gewaltdrohungen macht Hitler noch übermütiger. Die Bayerische Regierung reagiert leider unentschlossen. Aus der Frankfurter Zeitung vom 1. April 1923.

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          Der Kampf um die Macht in Bayern zwischen Bayerischer Volkspartei und den Rechtsradikalen wird jetzt offen geführt, seitdem im „Regensburger Anzeiger“ dem wirklichen Führer der Umsturzbewegung, General Ludendorff, die Fehde angesagt worden ist. Die Bayerische Volkspartei hatte lange geglaubt, in den Nationalsozialisten eine Sturmtruppe gegen die Sozialdemokratie zu haben und deshalb mit wohlwollender Neutralität der Aufpeitschung der Bevölkerung zugesehen.

          Der Gedanke des „Selbstschutzes“ gegen die rote Gefahr, der „Wehrgedanke“, die monarchische Gesinnung – ob für Hohenzollern oder Wittelsbach, war eine sekundäre Frage – die Gegnerschaft gegen die „Berliner“ Republik, an deren Spitze der frühere Reichskanzler Wirth stand, verknüpften die Bayerische Volkspartei und die vaterländischen Verbände, in denen die Nationalsozialisten noch nicht die beherrschende Rolle erlangt hatten. Zwar gab es in der Partei Leute, die schon früher etwas weiter sahen und ein energisches Einschreiten gegen die Nationalsozialisten forderten, aber sie wurden nicht gehört.

          Da begann im vorigen Sommer die Bayerische Volkspartei ihre leidenschaftliche Agitation gegen das Republikschutzgesetz, dass ihr ein ausgezeichnetes Mittel schien, sich der bayerischen Volksseele als die eifrige und energische Hüterin des Rechts und der Unabhängigkeit Bayerns zu zeigen. Aber sie entfesselte damit zugleich eine wüste Hetze der Rechtsradikalen, die glaubten, ihre Politik der Straße durchsetzen und ihren Willen der Regierung aufzwingen zu können.

          Der Sturm, dem der Ministerpräsident Lerchenfeld trotzte, ging nochmals vorüber. Aber zu einem kräftigen Eingreifen gegen die schon gefährlich übermütig und brutal gewordene Macht Hitlers, der den Einfluss der übrigen Leiter der vaterländischen Verbände immer mehr zurückdrängte, konnte die bayerische Regierung, die zudem durch die Aufnahme der deutschnationalen Mittelpartei in die Koalition im Handeln gegen Rechts geschwächt war, nicht mehr kommen.

          Man plakatierte Warnungen vor Putschen, versicherte auch in offenen Briefen, keiner Gewalt weichen zu wollen, und rechnete damit und mit der Anerkennung der nationalen Gesinnung und der Verdienste der vaterländischen Vereinigungen noch immer Herr der Bewegung zu bleiben. Im Übrigen vertraute man auf das altbewährte Mittel der partikularistischen Agitation. Dem bayrischen Volk wurde bei jeder Gelegenheit die wahrhaft bayerische Gesinnung der Volkspartei, die der Kampf gegen die Republikschutzgesetze so eindrucksvoll bewiesen hatte, vorgeführt, von der „föderalistischen“ Gestaltung des Parteiprogramms bis zu der wieder eifrig propagierten Forderung nach einer Verfassungsreform. Vor allem nach einem besonderen, die Staatspersönlichkeit Bayern kraftvoll zur Geltung bringenden Staatspräsidenten, lief die Kette der „Taten“, die die Bayerische Volkspartei dem bayerischen Volk zeigte, und auch kleine und kleinste Mittel des Tages wurden dabei nicht verschmäht.

          Politik der Duldung muss ein Ende haben

          Die Rückwirkung dieser Politik auf das Verhältnis zum Reich blieb nicht aus, ohne dass es gelang, irgendwie die rechtsradikale Bewegung einzudämmen oder gar zurückzudrängen. Graf Lerchenfeld trat zurück, angeblich weil er bei einer Teuerungsdenkschrift seiner Regierung von der eigenen Partei im Stiche gelassen wurde, in Wahrheit aber weil er, ganz abgesehen von der Minierarbeit der Hetzer und Intriganten im eigenen Lager, die auf Kosten des Reichsgedankens geführte Politik nicht mehr länger vertreten und wohl auch weil er weder in der nach rechts gerückten Regierung noch in der eigenen Partei auf Unterstützung eines entschlossenen und konsequenten Vorgehens gegen die rechtsradikale Gefahr rechnen konnte.

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