Hauptstadtflughafen Berlin-Brandenburg : „Perversion der Planfeststellung“
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Krach um die Flugrouten: Anwohner und Anrainer-Gemeinden werfen dem Land Brandenburg und dem staatlichen Flughafenbetreiber vor, sie bei den Flugrouten getäuscht zu haben. Ursprünglich hieß es, die Flugzeuge würden vom Hauptstadtflughafen geradeaus starten. Festgelegt wurden später aber zum Teil abknickende Routen. Bild: dpa
Die Gemeinden im Umland des neuen Hauptstadtflughafens sind sauer. Vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gehen sie jetzt das Verkehrsministerium des Landes an: Sie seien über die Flugrouten „bewusst getäuscht“ worden. Gibt das Gericht den Klägern Recht, könnte das gesamte Planfeststellungsverfahren ins Wanken geraten.
Die schlechten Nachrichten um den neuen Hauptstadtflughafen Berlin-Brandenburg (BER) reißen nicht ab. Nach einem mangelhaften Brandschutz, einem offenkundigen „Planungschaos“ und explodierenden Kosten reiht sich nun auch noch der Vorwurf der absichtlichen Irreführung von Anwohnern in die lange Reihe der Hiobsbotschaften. Vor dem Bundesverwaltungsgericht erhoben die brandenburgische Gemeinde Klein-Machnow sowie zahlreiche Bürger schwere Vorwürfe gegen das Verkehrsministerium Brandenburg. Von „bewusster Täuschung“ über die im Planfeststellungsbeschluss vorgesehenen Flugrouten ist die Rede und vom „politischen Druck“ auf die Deutsche Flugsicherung (DFS), trotz Sicherheitsbedenken nicht auf einer Planänderung zu bestehen.
„Wenn öffentlich geworden wäre, dass der Südwesten Berlins, Machnow und auf der anderen Seite der Müggelsee vom Fluglärm betroffen sind, wäre der Standort politisch nicht mehr durchsetzbar gewesen“, behauptete Philipp Heinz am Dienstag vor dem Leipziger Bundesgericht. Der Rechtsanwalt, der vor Gericht mehrere Anwohner vertritt, sprach am ersten Tag der bis einschließlich Mittwoch angesetzten mündlichen Verhandlung von einer „Perversion des Planfeststellungsverfahrens.“
Mit dem ungewöhnlichen Verfahren um das längst abgeschlossene Planfeststellungsverfahren wird nun ein Aspekt im Streit um den neuen Hauptstadtflughafen öffentlich, der bisher lediglich von lokaler Brisanz war: Die Kläger behaupten darin, dass das Land Brandenburg und die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH als Flughafenbetreiber die Auswirkungen des Flugbetriebs im Planfeststellungsverfahren wider besseres Wissen dargestellt hätten- und zwar mit geradlinigen und nicht mit abknickenden Abflugrouten. Schon im Jahr 1998 habe die DFS Bedenken gegen die ursprünglich gradlinig geplanten Routen geäußert, diese seien jedoch aus Furcht vor Verzögerungen und höheren Kosten nicht weiter verfolgt worden. Im Planfeststellungsbeschluss im Jahr 1994 und einem Ergänzungsbeschluss fünf Jahre später sei die „Grobplanung“ deshalb falsch gewesen.
Mit der Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht soll nun erreicht werden, dass das Verfahren um den Planfeststellungsbeschluss „Ausbau Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld“ neu aufgerollt wird. Gibt das Bundesverwaltungsgericht den Klägern Recht, könnte das gesamte Planfeststellungsverfahren ins Wanken geraten, was Anwälten zufolge mindestens ein, wenn nicht gar zwei Jahre zusätzlich kosten würde. Der bisher geplante Eröffnungstermin am 17. März 2013 wäre damit endgültig nicht mehr zu halten.
Anwalt: „Wenn das Bestand hätte, bekämen wir ein gravierendes rechtsstaatliches Problem“
In der mündlichen Verhandlung zogen die Klägeranwälte nun alle Register: „Die Bürger sind bewusst getäuscht worden“, sagte der Berliner Rechtsanwalt Christian von Hammerstein der Kanzlei Raue LLP. „Wenn das Bestand hätte, bekämen wir ein gravierendes rechtsstaatliches Problem. Der Bürger darf darauf vertrauen, dass so etwas in einem Rechtsstaat nicht passiert“, sagte Hammerstein unter dem Applaus von rund 70 Betroffenen.“ Dagegen wiesen die Vertreter des Ministerium die Vorwürfe brüsk zurück: „Die Planungsbehörden hat nie bewusst getäuscht und keinen Einfluss genommen“, sagte der Stuttgarter Anwalt Klaus-Peter Dolde und erntete vom Publikum höhnisches Lachen.
Mit dieser Auseinandersetzung umrissen die Beteiligten schon in den ersten Stunden das Problem, in dem auch das Bundesverwaltungsgericht selbst die Kernfrage des Verfahrens sieht: Sind die Anwohner einem Irrtum unterlegen, der auch rechtlich relevant ist? Denn dass Flugrouten bei der Planung eines Flughafens nur vorläufig festgelegt würden, sei hinlänglich bekannt, gab der Vorsitzende Richter zu bedenken. „Flugrouten sind flüchtig.“ Und: Nicht jedes treuwidrige Verhalten der Behörde führe zur Wiederaufnahme eines bereits abgeschlossenen Verfahrens, an die aus Gründen der Rechtssicherheit besonders hohe Voraussetzungen geknüpft werden.
Die vom Gericht geäußerte Vermutung, in diesem Fall habe lediglich ein unerheblicher „Planungsfehler“ vorgelegen, widersprach Kläger-Anwalt Hammerstein heftig. Schließlich sei mit der ursprünglich geplanten Flugroute keine realistische Variante zugrunde gelegt worden, sondern im Gegenteil: „Keine Variante war unwahrscheinlicher als diese.“ Er warf den Planungsbehörden vor, genau gewusst zu haben, dass die Flugrouten abknicken mussten. „Sie wussten nur nicht, wohin.“
Schon im Mai hatte die kurzfristige Verschiebung der ursprünglich für Juni geplanten Eröffnung für Aufregung gesorgt. Damals war der mangelhafte Brandschutz Auslöser für die überraschende Absage, die bei Fluglinien, Passagieren und im Einzelhandel für großen Ärger sorgte und Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe nach sich zog. Seitdem reißen die schlechten Meldungen nicht ab: Der Eröffnungstermin im März scheint auch ohne Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht Makulatur, zuletzt sorgten zusätzliche Kosten von mehr als 1 Milliarde Euro für Empörung.