Armutsdebatte : Suche nach Wegen aus dem Hartz-IV-System
- -Aktualisiert am
Finanziell im Nachteil? - Oftmals lohnt es sich für Hartz-IV-Bezieher nicht, ihren Lebensunterhalt mit einem festen Arbeitsplatz zu bestreiten. Bild: Caro / Eckelt
Wer hinzuverdienen will, steht schnell vor der Frage: Lohnt sich das überhaupt?
In der Auseinandersetzung über Mängel des Hartz-IV-Systems rücken Rufe nach besseren Hinzuverdienstregeln in den Vordergrund: Wer als Arbeitsloser den Einstieg in neue Arbeit schafft, soll künftig mehr von dem erzielten Lohn behalten dürfen. „In der Debatte kommt bisher zu kurz, dass wir doch vor allem einen Sozialstaat mit mehr Aufstiegschancen benötigen“, sagte FDP-Arbeitsmarktfachmann Johannes Vogel der F.A.Z. „Ein zentraler gesetzgeberischer Hebel beim Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit, den wir dafür endlich umlegen müssen, ist die Verbesserung der Zuverdienstmöglichkeiten“, sagte Vogel, der bis 2017 die Arbeitsagentur Solingen geleitet hat.
Es sei absurd, dass es sich in vielen Fällen für Hartz-IV-Bezieher kaum mehr lohne, ihren Lebensunterhalt mit einem festen Arbeitsplatz zu bestreiten, da sie finanziell im Nachteil wären, kritisierte auch der Wirtschaftsrat der CDU. „Da muss nachgesteuert werden“, sagte sein Generalsekretär Wolfgang Steiger. „An einer entschlossenen Fortführung der Hartz-IV-Reformen geht kein Weg vorbei, wenn die Zielmarke Vollbeschäftigung erreicht werden soll“, sagte er.
Angeheizt wurde die Debatte durch Berechnungen des Steuerzahlerbundes, wonach ein Alleinverdiener 2540 Euro Bruttolohn braucht, um mit dem Nettoarbeitslohn das Hartz-IV-Niveau einer vierköpfigen Familie zu erreichen; sie erhält als Regelbedarf samt Wohnkosten knapp 1930 Euro. Doch wurde auch Kritik an dem Vergleich laut, da er den Abzügen durch Steuern und Abgaben nicht die Kindergeldansprüche des Arbeitnehmerhaushalts gegenüberstellt. Berücksichtigt man sie, hat die Beispielfamilie weitere 388 Euro, insgesamt 2318 Euro.
Auch wenn der Hartz-IV-Haushalt mit 1930 Euro zusätzlich von den Rundfunkgebühren befreit ist, er mit Sozialticket billiger Bus und Bahn fährt und Mietsteigerungen finanziert bekommt, könnte damit für den Arbeitnehmerhaushalt durch die ihm zustehenden Sozialleistungen ein gewisser finanzieller Vorteil bleiben. Um zusammen mit dem Kindergeld gerade auf jene 1930 Euro zu kommen, benötigt er einen Bruttolohn von 1935 Euro, wie der Steuerzahlerbund am Montag ergänzte. Bei einer 38-Stunden-Woche ist das ein Stundenlohn von 11,72 Euro; das Monatsnetto ohne Kindergeld beträgt dann 1541 Euro.
Auch das ändert aber wenig an den Hürden, die Hartz-IV-Bezieher auf dem Weg in Arbeit überwinden müssen. Zwar sieht das Gesetz schon heute vor, dass sie nicht alles an den Sozialstaat abgeben müssen, was sie durch Arbeit selbst zum Lebensunterhalt beisteuern. Doch werden heute vor allem kleine Hinzuverdienste begünstigt: Wer neben Hartz IV 100 Euro Arbeitslohn verdient, darf den Betrag ohne Abzüge behalten. Wer aber brutto 1000 Euro Arbeitslohn erzielt, muss sich 720 Euro von den Hartz-Leistungen abziehen lassen. Es bleiben ihm also nur 280 Euro. Denn für Verdienste von 100 bis 1000 Euro zieht der Staat gleich 80 Prozent von Hartz IV ab.
„Die aktuelle Gesetzeslage ist unfair und legt denen, die sich anstrengen, Steine in den Weg“, resümiert der FDP-Abgeordnete Vogel. Oft gelinge der Wiedereinstieg in Arbeit über stundenweise Helfertätigkeiten, doch der nächste Schritt zum Aufstieg sei schwer: Dann zeige sich, dass Mehrarbeit oft kaum Geld ins Portemonnaie bringe. Und aus dem Bekanntenkreis würden Betroffene dann oft gefragt, „warum man sich die Mühe überhaupt macht“.
Dies passt zu den Erfahrungen einer F.A.Z.-Leserin, die in Frankfurt ein Unternehmen für haushaltsnahe Dienstleistungen betreibt: Obwohl sie ihre Mitarbeiter deutlich über Mindestlohn bezahle, habe sie „mehr als einmal darüber gestaunt, dass Bewerber aus dem Jobcenter vorstellig wurden, denen es vorrangig darum ging, sich nur eine Bestätigung für das Vorstellungsgespräch abzuholen“, berichtet sie. Zum Teil sagten Bewerber „ganz offen, die Arbeit lohne sich nicht für sie – zum Beispiel, weil sie dafür eine halbe Stunde mit der S-Bahn fahren müssten“.
Aus der SPD kommen indes Forderungen, das Hartz-IV-System durch ein „solidarisches Grundeinkommen“ und ein „Recht auf Arbeit“ mit Hilfe staatlich finanzierter Förderarbeit abzulösen. Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass es „keine gesellschaftliche Akzeptanz für Hartz IV“ gebe, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) der „Berliner Morgenpost“. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der Hartz IV verteidigt hatte und als abgehoben kritisiert wurde, hat sich indes mit einer Leistungsbezieherin persönlich verabredet. Sie hatte ihn öffentlich aufgerufen, selbst einmal von Hartz IV zu leben.