Hanks Welt : Amazon macht süchtig
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Ich höre schon die Häme der Leser: Das kommt davon, wenn man sich auf Amazon verlässt. Und ich höre den Vorwurf: Hier wird ein einmaliger Vorfall, für dessen Eintreten ich auch noch selbst verantwortlich bin, generalisiert und zum Vertrauens-Super-GAU hochstilisiert. Diesen Verdacht zu entkräften half mir – wie stets – das F.A.Z.-Archiv. Dort findet sich genügend Material meiner Leidensgenossen, alle mit dem Tenor: Wehe dem, der den Automatismus von Amazon stört. Der wird bestraft.
Marktmacht ist verführerisch und bequem für den Kunden
Als dilettierender Kartellexperte hätte ich vor diesem ärgerlichen Vorfall stets behauptet, Amazon sei nicht gefährlich trotz seiner inzwischen 80 Prozent Marktanteile im Online-Handel. Denn das Unternehmen nützt seine Macht ganz offensichtlich nicht aus, mir höhere Preise abzuknöpfen. Der Erfolg verdankt sich seiner auf Netzwerkeffekten beruhenden Leistung – mit freundlicher Unterstützung durch die aktuelle Seuche, die es uns verbietet, beim stationären Händler einzukaufen. Doch jetzt sehe ich: Preissetzungsmacht ist nicht der einzige Schaden, den ein Monopolist den Menschen zufügt. Ich wurde Opfer einer Mischung aus Bürokratismus und Desinteresse am einzelnen Kunden.
Der Monopolist braucht sich – allen Marketingsprüchen zum Trotz – nicht mehr besonders anzustrengen. Bei einem Rekordumsatz von hochgerechnet etwa 380 Milliarden Dollar im Jahr 2020 und einem Gewinn allein in den ersten drei Quartalen von 14 Milliarden Dollar kommt es auf den Kunden Hank nun wirklich nicht an. Abwandern wird er nicht, er hat ja keine Alternative.
Hat er wirklich keine Alternative? Marktmacht, so lese ich im deutschen Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Paragraph 18, Absatz 3a, sei auch im Hinblick auf den „Wechselaufwand für die Nutzer“ zu überprüfen. Dazu könnte ich etwas beitragen. Der Wechselaufwand ist enorm. Denn einen vergleichbaren „Gatekeeper“, bei dem ich wie bei Amazon alles Mögliche bestellen kann, ohne mich jedes Mal durch komplexe Anmeldemenüs samt Passwort-Wirrwarr zu hangeln, gibt es nicht. Was haben diese Wochen meine Zeit und Nerven strapaziert! Bei den Büchern bin ich nach Frust-Erfahrungen mit Hugendubel schließlich bei Osiander gelandet – sehr zufrieden übrigens. Aber beim Tee oder dem Druckerpapier – stets geht die Registriererei wieder von vorne los.
Wie einfach ist es dagegen bei Amazon. Und genau das ist das Problem. Marktmacht ist verführerisch und bequem für den Kunden. Was mich an mir selbst irritiert: Ich habe mich in diesen Wochen richtig unglücklich gefühlt und offenbar zum ersten Mal mit Erschrecken realisiert, wie abhängig ich von Amazon schon geworden bin.
Kann man ohne Amazon leben? Ja, man kann. Aber es ist anstrengend. Sagen wir es in den Worten der zuständigen EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager: „Wir sind an einem Punkt angekommen, wo die Macht der digitalen Unternehmen, insbesondere der größten Gatekeeper, unsere Freiheiten, unsere Chancen, sogar unsere Demokratie bedroht.“ Nun gut, das mit der Demokratie ist – auf meinen Fall bezogen – vielleicht etwas übertrieben.
Postskriptum: Aus heiterem Himmel teilt mir Amazon am Tag vor Heiligabend mit, die „Angelegenheit“ sei nun geklärt, es bestehe „kein Handlungsbedarf“ mehr, und ich würde wieder in die Gemeinschaft aufgenommen. Ob wir noch einmal Freunde werden?