Hanks Welt : Warum der Bildungsaufstieg immer noch schwerfällt
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Blick auf den Görges-Bau auf dem Campus der Technischen Universität Dresden Bild: dpa
Von hundert Akademikerkindern nehmen in Deutschland 74 ein Hochschulstudium auf. Bei Kindern aus Nichtakademikerfamilien sind es gerade einmal 21. Was ist zu tun?
Viele Vorbilder, insbesondere Sportler und Musiker, suggerieren, es sei das vollkommene irdische Glück, so zu werden wie Lukas Podolski, Mesut Özil oder Bushido – nach dem Motto „vom Gettokid zum Gangsta-Rapper“. Dieses Glücksmodell legt nahe, man könne reich und berühmt werden, aber gleichzeitig Sprache, Auftreten und Habitus beibehalten. Es ist die Hoffnung, alles schaffen zu können, ohne etwas ändern zu müssen.
Kommt also daher der Ansporn zum sozialen Aufstieg? Kaum. Der Weg vom Gettokid zum Gangsta-Rapper ist ein Märchen, klingt schön, kommt selten vor und hat nichts zu tun mit dem typischen Klassenaufstieg von unten nach oben. Das ist die These des neuen Buches „Mythos Bildung“ des Soziologen Aladin El-Mafaalani: Erfolgreiche Bildungsaufsteiger haben an irgendeinem Punkt ihrer Biographie das eigene Denken und Handeln problematisiert und aus sich selbst den Wunsch entwickelt, etwas in ihrem Leben zu verändern. Es geht ihnen in der Regel nicht um Geld und Macht, ja nicht einmal um sozialen Aufstieg. Halbwüchsige sind ja auch keine kleinen Soziologen, die über soziale Mobilität nachdenken, sondern, wenn es gutgeht, Jugendliche, die Spaß und Neugier am Lernen entwickeln und erfahren haben, dass sich ihnen dadurch neue Welten eröffnen.
Wo es kein Aufstiegsmotiv gibt, da kann es auch keinen Aufstiegsplan geben. Aufsteiger erklimmen jeweils nur die nächste Sprosse der Leiter. Der Weg ist unsicher und wird von Ängsten begleitet. El-Mafaalanis eigene Biographie liest sich wie der Beweis für seine These: Als Kind syrischer Eltern in Deutschland geboren, hat er sechs Jahre lang als Lehrer im Schuldienst gearbeitet. Zudem war er Mitarbeiter im nordrhein-westfälischen Integrationsministerium. Heute ist El-Mafaalani Professor für „Erziehungswissenschaft und Bildung in der Migrationsgesellschaft“ an der Universität Osnabrück. Sein 2018 erschienenes Buch „Das Integrationsparadox – Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt“ wurde zum Bestseller: Konflikte entstehen nicht, weil die Integration von Migranten und Minderheiten fehlschlägt, sondern – im Gegenteil – weil sie zunehmend gelingt. „Gesellschaftliches Zusammenwachsen erzeugt Kontroversen und populistische Abwehrreaktionen – in Deutschland und weltweit“, behauptet El-Mafalaani.
Angst, wieder nach unten abzurutschen
Dass Integration in ein neues soziales Milieu psychische Kosten verursacht, ist die Erfahrung aller Bildungsaufsteiger. Sie sind eben auch eine Art von Migranten. Bildungsmigration braucht den Willen zur Veränderung und hat ihren Preis: Aufsteiger machen die Erfahrung von Trennung, Entfremdung, Scham und Schuld aus dem Herkunftsmilieu und brauchen die Fähigkeit zu Flexibilität und Anpassung an neue Umgebungen, die ihnen gleichwohl die erhoffte Zugehörigkeit nicht leichtmachen. Man sitzt zwischen allen Stühlen.
Besser, als Soziologen es können, wird diese Erfahrung von der französischen Autorin Anni Ernaux beschrieben, deren Bücher gerade neu bei Suhrkamp ins Deutsche übersetzt werden. Ihre Erzählung: Der Vater stirbt, was der Erzählerin Anlass wird, dessen Leben aufzuschreiben. Geburt um die Jahrhundertwende, kurzer Schulbesuch, Bauer, dann bis zum Todesjahr 1967 Besitzer eines kleinen Lebensmittelladens in der Normandie. Sein Leben ist die Geschichte von gesellschaftlichem Aufstieg und der Angst, wieder nach unten abzurutschen. Dass die Tochter eine höhere Schule besucht, macht den Vater stolz, aber zugleich entfernen sie sich voneinander. Für die Autorin wird die Erzählung zu einer Geschichte des Verrats: an ihren Eltern und dem Milieu, in dem sie aufgewachsen ist, gespalten zwischen Zuneigung und Scham, zwischen Zugehörigkeit und Entfremdung.