In seinem legendären „Fragebogen“ von 1966 stellt der Schriftsteller Max Frisch diese Frage: „Wenn Sie einen Menschen in der Badehose treffen und nichts von seinen Lebensverhältnissen wissen, woran erkennen Sie den Reichen?“ Ein beliebtes Gesellschaftsspiel ist es, auf Frischs Frage Antworten zu sammeln. Es fällt auf, dass der eigentlich naheliegende Einfall, man könne einem nackten Körper nicht ansehen, ob der Mensch arm oder reich sei, von kaum jemandem in Betracht gezogen wird. Stattdessen gibt es an vorderster Stelle Mutmaßungen über einen „gepflegten und gelifteten Körper“, der Rückschlüsse auf das Vermögen von Frauen und Männern zulasse. Andere wollen den „Yachtschlüssel am Handgelenk“ als Reichtumsindikator bemerkt haben. Wieder andere meinen, der Badehosen-Mensch müsse misanthropisch sein, übellaunig, weil „Leute, die Kohle haben, immer meckern“.
Vergangene Woche waren wir seit ewigen Zeiten mal wieder in einem Freibad. Was soll man bei der Hitze sonst machen? Das Bad heißt „Rheinuferpark“ und liegt in Gailingen am Hochrhein, grob gesagt auf halber Strecke zwischen Bodensee und Schaffhausen. Die gegenüberliegende Rheinseite in Diessenhofen gehört zur Schweiz; da gibt es auch ein Freibad, das „Rhybadi“ heißt. In den beiden Strandbädern ist alles vom Feinsten: saubere Umkleidekabinen und sanitäre Anlagen, Spielplätze und Planschbecken für die Kleinen, dazu ein schattiger Biergarten. Weil der Hochrhein ordentlich Strömung hat, braucht man sich mit leichten Schwimmbewegungen einfach nur flussabwärts treiben zu lassen. Ein Mordsvergnügen, nahezu anstrengungslos. Eintrittsgebühren werden im Rheinuferpark, der erst vor zehn Jahren so hübsch angelegt wurde, nicht verlangt. Wir waren sozusagen Gäste der Kommune – sehr großzügig, wie ich fand. Vielen Dank an dieser Stelle.
Frisch kannte sich mit Badeanstalten aus
So ein Badenachmittag weckt Jugenderinnerungen ans Stuttgarter Inselbad. Bilder, Geräusche, Gerüche: das ausgelassene Kreischen der Kinder oder das Platschen nach dem Sprung vom Fünferturm. Das chlorige Wasser, die Pommes, das „Fürst-Pückler-Eis“ – und die neugierigen Blicke der Mädchen, die sich mit meinen Blicken nicht kreuzen wollten. Die Schönheit der jungen Körper brauchte man damals noch nicht mit Tattoos zu bedecken.
Immer schon war das Schwimmbad ein Sehnsuchtsort. Dort mischten sich Klassen und Berufsschichten, kreuzten sich kulturelle Milieus und soziale Kreise, notierte der philosophische Flaneur Siegfried Kracauer im Oktober 1932. Die „ähnliche Kleidung“ verstärke den Eindruck der „Homogenität“. In der Badeanstalt vermöge niemand „sofort zu erraten, dass die Gäste allen möglichen Schichten und Parteien entstammen, niemand kann auf den ersten und auch zweiten Blick hin den Studenten vom Arbeiter unterscheiden“. Eine intime Anonymität erlaube es, „einander ausgiebig beobachten zu können“.
Max Frisch kannte sich übrigens mit Badeanstalten aus. In seinem Erstberuf als Architekt hatte er von 1947 bis 1949 das Zürcher Freibad „Letzigraben“ erbaut. Dass ihn Kracauers Utopie der „klassenlosen Badegesellschaft“ überzeugt hätte, glaube ich nicht. Dabei kannte Frisch noch gar nicht die Berichte von den gewaltsamen Übergriffen in den deutschen Multikulti-Bädern. Nachrichten von Schlägereien und Attacken gegen Bademeister rufen inzwischen private Sicherheitsdienste auf den Plan. Klassenlosen Kommunismus stelle ich mir anders vor.