Hanks Welt : „Ein ganzes Volk bockt“
- -Aktualisiert am
Auch Hermann Josef Abs, Chef der Deutschen Bank, der gleichzeitig in London mit den Alliierten über den Nachlass der deutschen Auslandsschulden verhandelte, zählte zu den Gegnern der Wiedergutmachung. Bild: Lutz Kleinhans
Es lohnt, sich an Franz Böhm zu erinnern: Wie der Leiter der Regierungsdelegation, die die Wiedergutmachungsverhandlungen mit Israel führte, auf den Antisemitismus der Deutschen blickte.
Unter der Überschrift „Der Antisemitismus und die Deutschen“ erschien im September 1950 in der von Dolf Sternberger herausgegebenen Zeitschrift „Die Gegenwart“ ein Essay des Frankfurter Rechtsprofessors Franz Böhm. Nach Ablauf einer Schrecksekunde seien in Deutschland die Antisemiten längst wieder aus ihren Mauselöchern hervorgekrochen, diagnostiziert der Autor. Dass es sich bei den antisemitischen Exzessen, etwa den Schändungen von Gräbern auf jüdischen Friedhöfen, bloß um individuelle Hass- und Racheakte handle, bestreitet Böhm: Allemal zeichne den Judenhass in Deutschland „eine terroristische, kollektivistische Note“ aus.
Zu Böhms Essay gab es zahlreiche Zuschriften, die alle das gleiche Schema aufwiesen: „Ich bin ein friedfertiger Mensch und habe nichts gegen Juden, aber…“ Unter „aber“ wird aufgezählt, wie viele Juden Ärzte oder Rechtsanwälte seien und dass sie sich jetzt mehr von ihren „arisierten“ Gütern zurücknähmen, als ihnen zustünde. Kurzum: Das „aber“ der Zuschriften ist das Dementi der zuvor gemachten Behauptung und das Eingeständnis von blankem Antisemitismus. „Wie unvorsichtig von dem Mann, sich so zu zeigen“, beschreibt Franz Böhm seine Reaktion beim Anblick eines galizischen Juden in Kaftan und mit Schläfenlocken an der Frankfurter Konstablerwache. Und kommentiert die ihn selbst erschreckende Reaktion: „So weit sind wir gekommen.“
Vor 75 Jahren, am 27. Januar 1945, wurde das KZ Auschwitz von der Roten Armee befreit. Gelegentlich heißt es heute, der Antisemitismus nehme im Maß des zeitlichen Abstands vom Holocaust wieder zu, weil die Verbrechen der Nazis in Vergessenheit geraten seien. Liest man Böhms Essay, so wird man feststellen: Der Antisemitismus war nie weg, noch nicht einmal in den Jahren unmittelbar nach dem Ende der Nazi-Herrschaft.
„Umwandlung von Schuld in Schulden“
Wer war Franz Böhm? Im Gedächtnis ist er heute, wenn überhaupt, als einer der Väter der „Freiburger Schule“, der wir die „soziale Marktwirtschaft“ verdanken. Geboren 1895, studiert Böhm Jura in Freiburg und arbeitet als Staatsanwalt. Wichtig wird der Kontakt mit der Dichterin Ricarda Huch, deren Tochter er 1923 auf Schloss Elmau (eine Art Partnerschaftsplattform des Bildungsbürgertums) kennenlernt und 1926 heiratet. Mit einem Aufsatz über „Das Problem der privaten Macht“ (1928), in dem es um die schädliche Wirkung der damals beliebten Kartelle ging, macht der junge Gelehrte von sich reden.
Für Böhm folgt daraus: Der Staat muss für Wettbewerb sorgen, um die Vermachtung der Wirtschaft zu verhindern. Es sollte sein Lebensthema werden und der Grundgedanke des von den Freiburger Autoren selbst „Neoliberalismus“ genannten Konzepts der Marktwirtschaft, das so gar nichts mit dem heutigen Zerrbild des Turbokapitalismus gemein hat. In den fünfziger Jahren wird Böhm – jetzt als Juraprofessor an der Universität Frankfurt und zugleich Bundestagsabgeordneter für die CDU – maßgeblich beteiligt sein an der Erarbeitung des Kartellgesetzes der Bundesrepublik.
Viel weniger bekannt ist Böhms historische Leistung als Leiter der Regierungsdelegation, die 1952 im holländischen Wassenaar die Wiedergutmachungsverhandlungen mit Israel führte und mit Erfolg zu Ende brachte. Aus heutiger Sicht wird man den Begriff „Wiedergutmachung“ als verharmlosend kritisieren und den damit verbundenen Versuch einer „Umwandlung von Schuld in Schulden“ (so der Historiker Constantin Goschler) zur Wiederherstellung der internationalen „Kreditwürdigkeit“ Deutschlands problematisieren müssen.