Hanks Welt : Sind wir reif genug für die Demokratie?
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Direkte Demokratie: Abstimmung in Appenzell (Schweiz) Bild: Ruetschi/Keystone Schweiz/laif
Wer in Deutschland die Schweiz als Vorbild preist, erntet häufig bissigen Widerspruch. Doch sowohl politisch als auch philosophisch scheint das Schweizer dem deutschen Modell überlegen zu sein.
Die „Herrschaft des Pöbels“ war das Thema meiner Kolumne in der vergangenen Woche. Ich habe darauf überdurchschnittlich viele Kommentare erhalten. Im Anschluss an das „Debakel von Thüringen“ ging es mir um die Frage, ob die Demokratie vor ihrem Missbrauch, dem Aufstand des Pöbels mit demokratischen Mitteln, gefeit ist. Das ist sie nicht. Kein Wunder, dass im Lauf der Demokratiegeschichte darüber nachgedacht wurde, wie man das Volk vor dem Volk – also dem Rückfall in den Populismus – schützen könne. Denn so ein Rückfall könnte am Ende dazu führen, dass auf demokratischem Wege die Freiheitsrechte des Volkes verletzt werden. Ein Blick nach Polen oder Ungarn lehrt, dass es nicht nur um Gedankenspiele politökonomischer Oberseminare geht.
Entschließt man sich freilich dazu, dem Pöbel oder, lateinisch vornehm, der Plebs die Repräsentanz in den Parlamenten zu versagen, verwickelt man sich in folgenschwere Widersprüche. Eine schöne Demokratie ist das, die dekretiert, welcher Teil des Volkes die Macht haben darf. Ehrlicher wäre schon, es mit der Sakralisierung der Demokratie nicht zu übertreiben und der Gefahr einer Tyrannei der Mehrheit mit Gewaltenteilung zu begegnen: also durch rechtsstaatliche Institutionen (Verfassungsgericht, Notenbanken) oder zweite Kammern, die unabhängig sind und die Institutionen der repräsentativen Demokratie in ihre Schranken weisen.
Die Angst vor dem Volk, so hat man uns im Gemeinschaftskundeunterricht beigebracht, sei in Deutschland eine Folge der Verbrechen der Nazis. Da habe man gesehen, was das Volk anrichten könne. Doch die Angst reicht weiter zurück. Gezielter Zufall lenkte dieser Tage mein Interesse auf eine Schrift aus dem Jahr 1926 mit dem Titel „Staat und Volk“. Verfasser ist ein gewisser Theodor Heuss, der 1949 zum ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde.
Im Jahr 1926 war Heuss ein Journalist, freiberuflicher Publizist und engagierter liberaler Politiker im Schlepptau des Nationalliberalen Friedrich Naumann. Anders als man es von einem Liberalen erwarten sollte, sprach sich Heuss nicht nur vehement gegen den Föderalismus, sondern auch gegen die direkte Demokratie aus. Den deutschen Föderalismus sah er aus der Fürstenherrschaft hervorgegangen, einer höfischen Tradition, der nicht zu trauen sei. Stattdessen glaubte er zutiefst an den inneren Zusammenhang zwischen Parlamentarismus und Zentralismus. (Mehr dazu gibt es in der Heuss-Biografie des Historikers Joachim Radkau.)
Der Blick auf den frühen Heuss ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Er dementiert die Überzeugung des Schulunterrichts, die Angst vor dem Volk habe sich hierzulande erst nach der Erfahrung von demokratisch zustande gekommenen Totalitarismen ausgebildet. Und er dementiert zudem die Annahme, Liberale hätten immer ein Herz für Dezentralismus, Föderalismus und Direktdemokratie zu haben. Es war eher umgekehrt: Dass Heuss im parlamentarischen Rat und dann als erster Präsident der Bundesrepublik vehement gegen Föderalismus und Direktdemokratie polemisierte, war seine feste Meinung schon seit den zwanziger Jahren.
Nicht jeder Liberale hat ein Herz für die Demokratie
Diese Überzeugung ist im übrigen ganz und gar keine Sondermeinung im liberalen Ideen-Spektrum, sondern liegt ganz auf der Linie von Leuten wie Friedrich Naumann, der als Gründerfigur der FDP gilt. Demokratie, so könnte man diese Haltung zuspitzen, ist gerade keine Volksherrschaft. Sie könnte genauso eine Herrschaft gegen das Volk genannt werden.