Hanks Welt : Herrschaft des Pöbels
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Rainer Hank Bild: F.A.Z.
Eine Lehre aus dem Debakel von Thüringen: Zu viel Demokratie kann durchaus schädlich sein. Der die Gewalten aufteilende Rechtsstaat dürfte für die menschliche Freiheit ein höherer Wert sein.
Steht die Demokratie am Abgrund? Seit dem Debakel in Thüringen tönt es hierzulande so. Dabei war, man könnte einschränken „formal“, doch gar nichts Ungehöriges passiert. Zwei Parteien, die an den politischen Rändern siedeln, haben bei den Wahlen zum Landtag 2019 zusammen eine Mehrheit erhalten: Linke (31 Prozent) und AfD (23,4 Prozent). Den Parteien der Mitte – CDU, SPD, FDP – reichte es, sollten sie koalieren, lediglich zu einer Minderheitsregierung. Dieser Sachverhalt zog verschiedene, letztlich gescheiterte Versuche nach sich, eine Regierung zu bilden. Man mag AfD und Linke nicht mögen, man mag die AfD für rassistisch und extremistisch halten, aber demokratisch ist am ganzen Verfahren nichts auszusetzen: Bei den Wahlen kam es, soweit man weiß, zu keinen Manipulationen. Das Ergebnis repräsentiert den Wählerwillen. Wer sagt, die Demokratie stehe am Abgrund, der sagt eigentlich nur, dass ihm das Ergebnis nicht passt.
Könnten die Probleme in Thüringen womöglich etwas mit der Demokratie selbst zu tun haben? Diese Ansicht vertritt der Bremer Politikwissenschaftler Philip Manow in zwei mit „(Ent)Demokratisierung der Demokratie“ überschriebenen klugen Essays in der Zeitschrift „Merkur“ (März 2020/Dezember 2019) als Vorgeschmack auf ein im Frühjahr bei Suhrkamp erscheinendes Buch. „Demokratische Repräsentation war ursprünglich die Lösung für ein Problem, das Pöbel oder Menge hieß“, so Manows Ausgangspunkt. Demokratie bedeutet nicht nur Herrschaft des Volkes, sondern auch Schutz vor dem Volk, dem viele Bürger nicht trauen. In einer repräsentativen Demokratie herrscht die Masse nicht direkt, sondern die von ihr gewählten Abgeordneten als ihre Repräsentanten. Nicht alle aber sollten repräsentiert werden: Der Plebs oder deutsch dem Pöbel wollte man lieber keine Repräsentanz in den Parlamenten übertragen. Nur das „gute“ Volk sollte sich in den demokratischen Institutionen wiederfinden.
Angst vor Populismus
„Volk heißt nicht der Pöbel in den Gassen, der singt und dichtet niemals, sondern schreyt und verstümmelt“, so zitiert Manow aus Herders Vorrede zu seinen „Volksliedern“ von 1779. Die repräsentative Demokratie hat Angst vor Populismus. Dabei wurde unter dem Pöbel ursprünglich eine ökonomisch definierte Gruppe des Volkes verstanden: diejenigen, die keinem Stand angehören und „außerhalb der Ehren der Arbeit“ leben.
Der Gedanke, ein Teil des Volkes sei eigentlich unrepräsentierbar, ist bei Lichte besehen kein demokratischer Gedanke, sondern eher dessen Gegenteil: Der Grundsatz „one man, one vote“ gibt jedermann Partizipation an der Macht unabhängig von seiner ökonomischen Stellung und seinen politischen Ansichten. Bezogen auf heute, heißt das: Das Populistische ist eine Erscheinungsform des Demokratischen und nicht sein Dementi. Wenn 23,4 Prozent der Bürger in Thüringen AfD wählen, dann meldet sich ein „Pöbel“ zu Wort, dem man – womöglich abermals mit Gründen – die politische Macht nicht überantworten möchte. Aber eines kann man ihm nicht nachsagen: dass er nicht demokratisch legitimiert sei.
Das Aufkommen des Populismus wäre dann die Wiederkehr des Verdrängten innerhalb der Demokratie. Darauf alarmistisch mit Demokratiegefährdungsdiagnosen zu reagieren trägt selbst zur Gefährdung der Demokratie bei, so Manow. Diese folgen dem scheinheiligen Motto, erst den Rechtspopulismus als „Saatboden für einen neuen Faschismus“ zu brandmarken, um dann aus demselben pseudoaufklärerischen Munde einen zurückhaltenden öffentlichen Sprachgebrauch anzumahnen und die Spaltung der Gesellschaft zu beklagen.