Günther Oettinger : Ein Schwabe im Glück
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Als EU-Kommissar hält Günther Oettinger Lobreden auf Europa. Bild: Fricke, Helmut
In Stuttgart wurde er verstoßen. In Brüssel hat Günther Oettinger seine Rolle gefunden. Jetzt wünschen ihn die ersten Schwaben zurück.
Es gibt hier oben keine holzvertäfelten Wände, der Blick geht nicht hinaus ins Grüne, und es kommt während des Gesprächs auch kein livrierter Diener herein, der aus edlen Porzellankännchen den Kaffee nachschenkt. So war es früher in der Villa Reitzenstein, dem Dienstsitz des baden-württembergischen Ministerpräsidenten. Aber es konnte dort droben über dem Stuttgarter Talkessel sehr einsam sein. Zuletzt wurde der Hausherr Günther Oettinger von den Medien verspottet und von Parteikollegen bekämpft.

Korrespondent für Wirtschaftspolitik und stellvertretender Leiter Wirtschaft und „Geld & Mehr“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.
Jetzt empfängt Oettinger seine Besucher in einem kahlen Besprechungszimmer des Brüsseler Berlaymont-Gebäudes. Rund 2700 Menschen arbeiten hier, darunter fast alle der 27 Kommissare. Der einzige Schmuck ist die blaue Europafahne mit den gelben Sternen, und draußen vor dem Fenster breitet sich die belgische Hauptstadt aus mit ihren Büroklötzen und heruntergekommenen Altbauten, eine chaotische Mischung, die ganz gut den Kontinent verkörpert. Manche mögen das, andere nicht.
Die Energiepolitik ist zu einem der wichtigsten Themen in Brüssel geworden
Günther Oettinger gehört in die erste Kategorie. Nicht nur, weil er jetzt sonntags gern mit seinem 12 Jahre alten Sohn aus erster Ehe Fritten essen geht. Er ist glücklich mit seinem neuen Job, der zunächst nur als Abschiebeposten galt. Seit zweieinhalb Jahren ist er nun EU-Kommissar für Energie. Nie ging es ihm in seiner politischen Laufbahn so gut wie jetzt. Spätestens seit die Deutschen ihre Energiewende ausgerufen haben, ist das Thema eines der wichtigsten auf der europäischen Agenda. Die Euro-Krise gibt ihm die Gelegenheit, den Deutschen als Staatsmann den Kontinent zu erklären, statt nur als Provinzfürst aus Schwaben im Fernsehen zu erscheinen. Und im heimatlichen Baden-Württemberg hätte ihn mancher der Parteifreunde, auf deren Wunsch ihn Kanzlerin Angela Merkel einst weglobte, nach dem krachenden Scheitern des Nachfolgers Stefan Mappus gern zurück. Sogar als Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2016 wird er schon gehandelt.
„Sie werden alle überrascht sein“, hatte ein CDU-Sprecher während der Koalitionsverhandlungen geraunt, bevor die Personalie offiziell bekannt wurde. So war es dann auch. Ausgerechnet der Mann mit dem eckigen schwäbischen Akzent, dessen erste Auftritte auf Englisch prompt bei Youtube zur Volksbelustigung kursierten?
Plötzlich wird er für seine Offenheit und Zugänglichkeit gelobt
Das hätte leicht so enden können wie mit dem Niedersachsen Christian Wulff, den Merkel ganz nonchalant im Präsidialamt parkte. Doch siehe da: Der Mann, der in Stuttgart als kommunikativer Analphabet galt, wird in Brüssel allenthalben für seine Offenheit und Zugänglichkeit gelobt - selbst von den europäischen Grünen, die seine Energiepolitik überhaupt nicht mögen.
An der Sprache habe er gearbeitet, sagt Oettinger. Auf dem Gymnasium lernte er fast neun Jahre Latein, aber nur drei Jahre Englisch. „Heute habe ich kein Problem, Arbeitsgespräche jeder Art auf Englisch zu führen“, sagt der Schwabe.
Vielleicht ist es in Brüssel auch einfach nur egal. Im polyglotten Europa erscheint der deutsche Anspruch, in jeder Sprache perfekt zu sein, einfach nur provinziell. „Einen Akzent haben wir ja alle - egal ob Spanier, Franzosen oder Deutsche“, sagt Oettinger inzwischen ganz entspannt. „Da rate ich uns zu mehr Selbstbewusstsein.“
Auch für eine stärker Rolle des Deutschen wirbt er. Vorlagen kämen erst in letzter Minute auf Deutsch, Durchsagen im Kommissionsgebäude überhaupt nicht. „So etwas würden sich die Franzosen nicht gefallen lassen.“
Endlich muss er keine Festzelt-Reden mehr halten
Womöglich hat sich der Blick auf Oettinger stärker gewandelt als der Politiker selbst. Früher sahen alle nur das Negative, jetzt konzentrieren sie sich aufs Positive. „Ich kenne Günther Oettinger nun schon seit mehr als dreißig Jahren“, sagt der enge Weggefährte Thomas Strobl, der jetzt den CDU-Landesverband führt. „Im Grunde genommen hat er sich überhaupt nicht verändert.“ Anders als ein Ministerpräsident muss ein EU-Kommissar nicht ständig ins Fernsehen, wo Oettinger sich noch immer unwohl fühlt. Er braucht keine Festzelt-Reden mehr zu schwingen, die bei ihm oft ins Peinliche abglitten. Gedenkreden zu heiklen historischen Themen sind bei der Planung von Stromtrassen ebenfalls entbehrlich. „Vielleicht wird die jetzige Funktion meinen Fähigkeiten am besten gerecht“, sagt Oettinger selbst.